Was ist nur los mit meinen Landsleuten?
Da habe ich mich frühmorgens beim Einschalten des Fernsehers tatsächlich am Kaffee verschluckt. „The UK votes to leave the EU“, sagte die Nachrichtensprecherin der englischen BBC mit ernster Miene. Großbritannien verlässt also die EU. „Das gibt es doch nicht“, sagte ich fassungslos vor mich hin. Nicht im Traum hätte ich daran gedacht, dass der Brexit tatsächlich Realität wird. Schließlich war auch vor dem SchottlandReferendum 2014 das Tohuwabohu groß und am Ende blieb alles beim Alten. Darauf haben ich und viele in meinem britischen Familienund Bekanntschaftskreis mit großer Gelassenheit vertraut.
Was ist denn nur los mit meinen Landsleuten? Ich verstehe sie nicht mehr. Und das geht nicht nur mir so. Viele meiner britischen Freunde schämen sich für ihr Land, manche entschuldigen sich in den sozialen Netzwerken öffentlich. Einige wollen sogar auswandern: Von Kanada und Neuseeland ist die Rede – und von Deutschland. Der Schock sitzt tief. Nur eins finde ich höchst seltsam: Ich kenne niemanden, der dieser Entscheidung irgendetwas Gutes abgewinnen kann. Auf Facebook, Whatsapp und anderen Kanälen sind alle in ihrer Trauer um ein europäisches Großbritannien vereint. Umso schwerer fällt es uns, dieses demokratische Votum zu akzeptieren. Die jüngeren Generationen fragen sich, wie die Älteren ihnen so etwas antun konnten. Ein Land verliert seinen Zusammenhalt und seine Identität.
Auch ich schäme mich für mein Vaterland. Der Austritt aus der EU ist ein Armutszeugnis für das Vereinigte Königreich, das seit gestern nicht mehr als „vereinigt“bezeichnet werden kann. Die Folgen des Brexits sind noch gar nicht vorhersehbar und werden mich und meine Landsleute noch lange beschäftigen.
Wir Briten sind eigentlich dafür bekannt, dass wir über uns selbst lachen können. Ich kann es in diesen Tagen nicht mehr.
William Harrison-Zehelein ist Volontär unserer Zeitung. Der 26-Jährige besitzt sowohl die deutsche als auch die britische Staatsbürgerschaft.