Siemens öffnet sich den Münchnern
Festakt Neue Konzernzentrale in München nach sechs Jahren fertiggestellt. Bekenntnis zu Bayern in turbulenter Zeit
München Wie sieht es aus, wenn die – mit einer Marktkapitalisierung von über 80 Milliarden Euro – wertvollste und – mit weltweit knapp 348 000 Mitarbeitern – größte bayerische Aktiengesellschaft sich ein neues Hauptquartier gibt? Auf den ersten Blick lautet die Antwort: Es sieht hell aus und stählern, weiß und grau und gläsern, funktional und ein bisserl futuristisch. Einzig das rustikale Pflaster („Fraunhofer Dolomit“aus dem Altmühltal) zeugt von einer gewissen Erdverbundenheit. Doch das ist nur der erste Blick. Tatsächlich verbindet Siemens mit seiner neuen Konzernzentrale, die gestern in München mit einer Feierstunde eröffnet wurde, gleich mehrere Botschaften: Das Unternehmen gibt sich selbstbewusst und beansprucht seinen Platz im Herzen der Landeshauptstadt, aber es protzt nicht und igelt sich nicht länger ein, sondern öffnet sich der Stadt.
Die Besonderheit, dass Fußgänger auf dem Weg von den Pinakotheken zum Wittelsbacher Platz von kommender Woche an ungehindert durch die Innenhöfe und das Atrium der Konzernzentrale gehen können, wurde gestern in jeder Festrede her- Vorstandschef Joe Kaeser wies darauf hin, dass dort 1200 Mitarbeiter aus 45 Nationen unter einem Dach arbeiten, und sagte: „Wir wollen ein einladendes und offenes Haus inmitten einer pulsierenden Stadt sein.“Aufsichtsratschef Gerhard Cromme betonte, dass „die Blockade“jetzt aufgehoben und das Areal allen Bürgerinnen und Bürgern zugänglich sei. Das neue Hauptquartier, so Cromme, „soll all jene anziehen, die die Welt ein Stück besser machen wollen“.
Die Festreden – auch die von Bayerns Wirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) und Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) – fielen gestern wohl auch deshalb etwas ernster und pathetischer aus als sonst, weil die versammelte Prominenz aus Politik und Wirtschaft sichtlich geschockt war vom Brexit. Aigner zeigte sich „enorm“entvorgehoben. täuscht von der Entscheidung der Briten, aber sie schwärmte umso mehr über Siemens: „Für uns als Staatsregierung ist es ein großes Glück, so einen kreativen Gestalter im Land zu haben, der (in Bayern) zudem 60000 Arbeitsplätze bereitstellt.“Reiter sprach von einem „starken, international beachteten Bekenntnis zu München und zum Standort Bayern“.
Doch Siemens bekennt sich nach den Worten Kaesers mit der neuen Zentrale nicht nur zu München und Bayern. Im digitalen Zeitalter und in der Ära des Internets, das keine territorialen Grenzen mehr kenne, habe sich auch die Frage gestellt, ob ein Weltkonzern überhaupt noch ein solches Hauptquartier brauche. Seine Antwort war eindeutig. „Nur im Dialog von Mensch zu Mensch entstehen Vertrauen, echte Zusammenarbeit und Teamgeist“, sagte Kaeser und fügte hinzu: „Ein Team ist etwas anderes als eine ChatGruppe.“
Siemens wolle Tradition mit Zukunft verbinden. „Siemens ist heute in der Welt zu Hause, aber bodenständig genug, seine Wurzeln zu wahren und sie zu ehren“, sagte Kaeser. Die Firma habe in einem Hinterhof ihren Ausgang genommen und nicht in einer Garage. Es sei in einer Zeit gegründet worden, „als es im Silicon Valley noch gar keine Garagen gab“.
An diese Gründerkultur will das Unternehmen anknüpfen. Sichtbares äußeres Zeichen dafür ist die neue Adresse in einer eigens neu benannten Straße parallel zum Altstadtring. Sie heißt Werner-vonSiemens-Straße und hat nur eine Hausnummer: die Nummer 1.