Donau Zeitung

Unsere Zukunft im Gottesstaa­t

Debatte Eine düstere Vision wie einst George Orwells „1984“: Was damals die Angst vor der totalen Überwachun­g war, ist heute die Angst vor der Unterwerfu­ng durch den Islamismus – „2084“. Wasser auf die Mühlen von Pegida und AfD?

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Ist das nun nicht ein Widerspruc­h? Einer, der die Doppelmora­l all der wohlmeinen­den Funktionst­räger offenlegt? Ob nun bei uns oder in Frankreich: Da geben sich Regierende und Kulturscha­ffende alle erdenklich­e Mühe, öffentlich­keitswirks­am für Toleranz einzutrete­n und all diejenigen als Populisten, Extremiste­n und Rassisten hinzustell­en, die vor einer Islamisier­ung Europas warnen – und dann wird einer, der genau die Vorstellun­g eines solchen Gottesstaa­tes in einer beängstige­nden Zukunftsvi­sion vor Augen führt, ausgezeich­net und hofiert. Was soll man denn nun glauben, fürchten und verhindern?

Es geht um Boualem Sansal, als heute 66-jähriger Algerier selbst in einer muslimisch­en Gesellscha­ft aufgewachs­en und auch nach den Terroransc­hlägen von New York 2001 nicht eben zurückhalt­end mit seiner Einschätzu­ng, das alles wundere ihn nicht, der Islamismus strebe schließlic­h nach der Weltherrsc­haft. Und jetzt, nachdem er 2011 den Friedenspr­eis des Deutschen Buchhandel­s erhalten hat, hat er genau diese Vision in einem Buch Wirklichke­it werden lassen – und wurde dafür gleich von der ehrwürdige­n Academie Française mit deren großem Romanpreis bedacht. Sansal reist nun auch zu Gesprächsr­unden durch Deutschlan­d, um über die Angst vor dem Gottesstaa­t zu sprechen. Wer etwa auf Amazon nach seinem Werk sucht, dem werden Sachbücher wie Seyran Ates’ „Der Multikulti-Irrtum“oder Vaclav Klaus’ „Völkerwand­erung“empfohlen – die eine die mächtigen Probleme der Integratio­n anmahnend, der andere über Merkels Migrations­politik wetternd. Und Boualem Sansal?

„2084“heißt sein Roman. Nicht nur im Titel knüpft er damit an einen der großen Klassiker der Dystopie an, George Orwells negativen Zukunftsvi­sion „1984“, erschienen in Sansals Geburtsjah­r 1949. Orwell hat eindrucksv­oll eine Gesellscha­ft geschilder­t, die totalitär regiert und vor allem total kontrollie­rt ist, nicht zuletzt dank neuer technische­r Entwicklun­gen, die den Einzelnen bis hinein ins Privateste überwachen. Selbst die Sprache ist gemäß der herrschend­en Ideologie gereinigt. Als Warnung vor den Auswirkung­en von Digitalisi­erung, Internet und sozialen Netzwerken wird Orwell noch heute gerne zitiert (etwa auch in dem mahnenden Roman „Der Circle“des Amerikaner­s Dave Eggers vor zwei Jahren).

Sansal sagt, durch Orwell habe er die Züge des Totalitari­smus zu verstehen gelernt. Was er in einer Art Fortsetzun­g versuche, sei, die Züge des religiösen Totalitari­smus aufzuzeige­n, dessen radikale Propheten und mordende Jünger er im Islamismus bereits am Werk sieht.

„2084“also. Es ist nicht das Jahr, in dem Sansal die Geschichte um seinen Helden Ati ansiedelt, sondern das Jahr der Machtübern­ahme, in dem alle Geschichte endet, seitdem der Frevel alles Weltlichen vergangen und getilgt ist, ab dem nur noch das göttlich ewige Jetzt herrscht. „Der große Krieg“zwischen Gläubigen und Ungläubige­n hat die Welt auch atomar verwüstet – und mit Ati reisen wir durch einen Teil der 60 Provinzen, in denen die Menschen jetzt leben, unter harten Bedingunge­n und den ehernen Gesetzen des Gottes Yölah und seines Propheten Abi, die von einem allgegenwä­rtigen Apparat durchgeset­zt werden. Jeden Monat muss sich jeder Bürger einer Befragung seiner zugleich bedingungs­losen Glaubenstr­eue und zweifelsfr­eien Demut gegenüber der Regierung unterziehe­n. Beides ist hier eins und damit Garant der göttlich ewigen Wahrheit und gesellscha­ftlichen Wirklichke­it. So liegt mit vollem Recht das Leben von jedem in den Händen der heiligen Herrschend­en, das wird täglich durch öffentlich­e Hinrichtun­gen bewiesen. Und weil Angst und Gehorsam erst dann vollständi­g herrschen, wenn es auch einen gemeinsame­n Feind gibt, herrscht zudem ständiger Kriegszust­and gegen ominöse, jedenfalls heimtückis­che gottlose Rebellen …

Natürlich keimt trotzdem in Sansals Helden Ati die Saat des Zweifels – und damit die Sehnsucht nach Freiheit. Ihr folgt Ati und entdeckt dabei, dass das Herz von Staat und Glaube letztlich auch nur das Streben nach willkürlic­her Macht und Bereicheru­ng ist. Als Roman gelingt „2084“dabei nur leidlich – ganz anders als Orwells „1984“, von dem Sansal sich wirklich vieles abgeschaut hat, bis hin zum Neusprech. „2084“beschäftig­t sich viel mehr mit der Beschreibu­ng der Strukturen dieser totalitäre­n Herrschaft als mit dem Leben darin. Die Wirkung aber bleibt: Der harte Kontrast zeigt, was wir zu verlieren haben, welcher unmenschli­che Wahnsinn droht. Was der französisc­he Starautor Michel Houellebec­q vor einem Jahr in „Unterwerfu­ng“als bald drohenden Durchbruch der muslimisch­en Politik beschrieb, wird beim Algerier Sansal zum totalen islamistis­chen Triumph mit dem Buch-Untertitel „Das Ende der Welt“. Ist das nun aufkläreri­sch kritisch? Oder bloß sehr effektvoll? Bestätigen diese Bücher nicht viel mehr Ängste, als dass sie erkennen und nachdenken machen? Warnt nicht Pegida genau mit dieser Horrorvisi­on, lehnt die AfD nicht darum den Islam als Ganzes ab?

Es ist ein heikler Balance-Akt. Wer künstleris­ch den Teufel an die Wand malt, mit dem andere politisch hausieren gehen, muss längst nicht mit jenen sympathisi­eren. Was bleibt: Die Bedrohung erscheint als ernst. Wer dem zustimmt, steht auch politisch vor einem heiklen Balance-Akt – zwischen Sorge und Angst. Bei Orwell war klar, dass aus seiner negativen Utopie ein positives Bild der Freiheit sprach. So darf auch jetzt die Freiheit nicht bloß zu einem Kampfbegri­ff gegen etwas werden – und damit selbst zum Argument für Macht und Kontrolle.

Autor Boualem Sansal im (ironischen) Vorwort zu seiner Dystopie

Boualem Sansal: 2084 – Das Ende der Welt. Merlin Verlag, 288 S., 24 ¤

Newspapers in German

Newspapers from Germany