Auch das Quarktäschchen ist auf die EM eingestellt
Fußball Geschäftsmodell Europameisterschaft: Wie sich der Einzelhandel in der Region auf das Turnier und seine Fans einstellt
Jetzt stürmen sie! Gemeint sind nicht etwa die deutschen Fußballspieler, die sich durch eine zähe Vorrunde der Europameisterschaft (EM) gequält hatten, sondern die Kunden der Geschäfte in der ganzen Region. Seit dem Start der EM und vor allem dem Eintritt der deutschen Nationalmannschaft ins Spielgeschehen rennen die Sportfans zwischen Syrgenstein und Buttenwiesen bei den Fachhändlern die Türen ein und sammeln bei Drogerien, Supermärkten, Schuhgeschäften und Spielzeugläden die Fußballdevotionalien nur so ein. Selbst Bäcker und Metzger lassen sich gerne vom EMFieber anstecken, um neben Wurst und Brot auch in das Großereignis einzusteigen.
Da machen sogar Gewerbetreibende, die eigentlich weniger mit dem Kampf um den runden Mittelpunkt in Verbindung gebracht werden, einen auf Fußballparty. So gewährt ein bekanntes Möbelhaus – „Olé, Olé, Olé, sind die supergünstig!“plötzlich großzügige Rabatte auf Einrichtungen und erklärt die EM-Zeit kurzerhand zur „SofaZeit“mit kräftigen Preisabschlägen. Da bietet ein TV-Geschäft mithilfe eines prominenten fotogenen ExBayernspielers „großes Bild für große Spiele“an oder preist ein Netzdienst mal eben ein „Oh là là unserer Zubehör-Auswahl“megagünstig an. „EM schon, denn schon“lautet der Schlachtruf eines Waschmaschi- nenhändlers. „Kickt den Preis“, animiert ein Discounter seine potenziellen Käufer mit seinen „FANtastischen Angeboten zur FußballEM 2016“und lädt zur „Fanmeile“im eigenen Verkaufsraum. Die Konkurrenz nebenan startet die „Fußballparty“mit reihenweise „Anstoßbier für Helden“, „ElfFreunde-Rostbratwurst“, „Stadion-Ketchup“, „Mannschaftstopf“und schließlich „FußballgottGlückskeksen“sowie schaumigen „Heldenküssen“.
Die Fußball-Europameisterschaft in Frankreich scheint dem Handel in Deutschland zu schmecken. Wie sonst könnte es ein, dass Werner Kraus vor allem die Fußballer-Trikots ständig nachbestellen muss. Seit Tagen suchen die Leute fast aller Altersstufen den Gründer der Intersport-Filiale in Dillingen auf und kaufen: „Hier ist was los, jetzt sind schon bald wieder fast alle weg“, freut sich der ehemalige Topläufer und Fußballstürmer. Dabei kann der Interessent zwischen zwei Modellen der deutschen Nationalmannschaft wählen: dem EM-HeimHemdchen oder dem Auswärtstrikot, das sich auf seine gelbe Seite wenden lässt.
Warum meistens die Männervariante mitgenommen wird, darauf hat Kollege Wolfgang Seeßle von Intersport in Gundelfingen diese Erklärung: „Das Verhältnis beträgt 15:1, weil selbst junge Damen dem Shirt mit dem hohen Rundhalsabschluss den Vorzug vor der mit einem Ausschnitt ausgestatteten Version geben.“Seeßle, der neben dem Fußballbetrieb auch ganze Vereine „bis hin zum Hasenzüchterverband“mit Sportkleidung ausstattet, verweist auf die Möglichkeit, sich den Dress mit Spielernummern und Namen von Profiakteuren beschriften zu lassen. Dabei muss die EM-Euphorie bei den Fans so ausgeprägt sein, dass sie selbst dann die Kauflust kaum zügeln, wenn Mensch und Material einmal schwächeln. Ersteres wurde bereits angedeutet, das andere ist der medienmäßig lautstark begleitete „Trikot-Skandal“der Partie Frankreich – Schweiz. Dabei waren buchstäblich die Fetzen so geflogen, dass sich insgesamt sieben Spieleroberbekleidungen in ihre Bestandteile auflösten. Dass dann auch noch das „runde Leder“, das seit 30 Jahren aus zusammengeklebtem Kunststoff besteht, schlapp machte, war dann nur noch so etwas
Selbst Bäcker und Metzger lassen sich vom Fieber anstecken Wenn die DFB-Elf ausscheidet, ist Schluss mit den guten Geschäften
wie das i-Tüpfelchen eines technischen Desasters. Schließlich wurde das Spielgerät beim Test vier Stunden lang und 3500 Mal mit voller Wucht gegen eine Blechwand geschossen. Darunter litt jedoch offenbar weder der anhaltende Verkauf der Fantextilie noch der Absatz des runden Hauptdarstellers.
Seeßle: „Ich glaube, dass der Ball unglücklich eins mit langen tiefgehenden Stollen erwischt hat – aber die Leute nehmen den Vorfall mit Humor.“Ihn gibt es als „Beau Jeu“(schönes Spiel) im relativ teuren Original oder als preisgünstigere Replica-Variante.
Was der guten Kaufstimmung, die sich mit deutschen Erfolgen noch steigern dürfte, ganz urplötzlich den Garaus machen würde, vermutet Werner Kraus: „Wenn wir ausscheiden, hört das Geschäft damit schlagartig auf.“