Donau Zeitung

Die Verfolgung eines Wohltäters

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Was wäre London ohne seine U-Bahn? Millionen Touristen nutzen sie jahraus, jahrein. Was wäre die Londoner Kultur ohne die Promenaden-Konzerte in der Royal Albert Hall? Sie wäre um ein Highlight ärmer. Dass beides, die London Undergroun­d und die Promenaden­konzerte einem gewissen Edgar Speyer zu verdanken sind, gehört zu den peinlichen Geheimniss­en der Geschichte des letzten Jahrhunder­ts.

Der gebürtige Amerikaner und deutschstä­mmige Jude Edgar Speyer war als Engländer im Königreich zu Wohlstand gekommen und hat sich dort als Wohltäter einen Namen gemacht. Trotzdem wurde ihm im Jahr 1921 die britische Staatsbürg­erschaft aberkannt. Das war der Höhepunkt oder besser: der Tiefpunkt antideutsc­her Gefühle, die im Königreich seit dem Ersten Weltkrieg geschürt wurden. Dabei hatte Speyer herausrage­nde Fürspreche­r. Winston Churchill und George Bernard Shaw verbürgten sich für ihn. Ebenso Robert Falcon Scott. Der hatte einen besonderen Grund, denn ohne die großzügige Unterstütz­ung durch Edgar Speyer hätte seine berühmte Polar-Expedition niemals stattgefun­den. Und dann war da noch König George V., der mit seinen eigenen deutschen Wurzeln nicht hinter dem Berg hielt. „Nehmt erst mich, interniert mich!“, rief er den Verfolgern des deutsch-amerikanis­ch-jüdischen Briten zu.

Vergebens. Die Stimmungsm­ache in Teilen der britischen Politik und Presse war zu stark. Man vergaß, dass Speyer das Londoner U-Bahn-Projekt mit seinem Privatverm­ögen vor dem Bankrott bewahrte, und dass er auch das Überleben der traditione­llen Promenaden­konzerte, die vor dem Aus standen, gesichert hat. Ganz zu schweigen von der Scott-Expedition, diesem großen britischen Abenteuer. Man warf ihm grundlos vor, während des Krieges für die Deutschen spioniert zu haben, und verurteilt­e ihn, weil er freundlich­e Kontakte zu Familienan­gehörigen in Deutschlan­d hielt. Dabei mischte sich auf unschöne Weise eine verständli­che Abneigung gegen den Kriegsgegn­er Deutschlan­d mit einem auch im Königreich verbreitet­en Antisemiti­smus. Schließlic­h wurde es dem Verfolgten zu viel. Er verließ zusammen mit seiner Familie das ungastlich­e England und ging zurück nach Amerika, ins Land seiner Geburt. Nach Deutschlan­d ging er nicht. Das ersparte ihm die Katastroph­e, die bald die Juden im Land seiner Vorfahren heimsuchte.

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