Donau Zeitung

Ein aufgebläht­er Bundestag – ist das der Preis der Demokratie?

Leitartike­l Das nächste Parlament könnte sechs Fraktionen und 700 Mitglieder haben. Eine Reform des Wahlrechts wird gefordert. Doch dabei gibt es immer Verlierer

- VON MARTIN FERBER fer@augsburger allgemeine.de

Der Bundestags­präsident schlug Alarm. Eine Reform des Wahlrechts sei unabdingba­r, um eine erhebliche Vergrößeru­ng des Parlaments zu verhindern, warnte Norbert Lammert. So hatten gerade einmal vier Überhangma­ndate zu weiteren 29 Ausgleichs­mandaten geführt, und im Bundestag saßen auf einmal nicht 598, sondern 631 Abgeordnet­e.

Das war vor mehr als drei Jahren, im Oktober 2013, kurz nach der letzten Bundestags­wahl. Doch geschehen ist seitdem nichts. Obwohl Lammert unermüdlic­h die Fraktionen zum Handeln auffordert­e und sogar ein eigenes Konzept vorlegte, verhallten seine Rufe bislang weitgehend ungehört. Und das Zeitfenste­r, das für ein derart komplizier­tes Gesetzgebu­ngsverfahr­en notwendig ist, wird immer kleiner. Wenig spricht dafür, dass sich die vier im Bundestag vertretene­n Parteien noch auf eine Neuregelun­g einigen können.

Dabei wissen alle Beteiligte­n, dass sich bei den Wahlen im nächsten Herbst die Situation dramatisch zuspitzen könnte. Sollten in den nächsten Bundestag auch die FDP und die AfD einziehen, säßen nicht nur sechs statt vier Fraktionen im Parlament, sondern die Zahl der Abgeordnet­en würde möglicherw­eise auch auf bis zu 700 steigen. Nach Modellrech­nungen könnten CDU/CSU 25 und die SPD zwei Überhangma­ndate erhalten, weil sie mehr direkt gewählte Abgeordnet­e haben, als ihnen eigentlich nach dem Zweitstimm­energebnis zustehen. Das hat zur Folge, dass AfD und Linke jeweils 19, die Grünen 17 sowie SPD und FDP je neun Ausgleichs­mandate zugesproch­en bekämen, damit die Sitzvertei­lung im Parlament exakt dem Zweitstimm­energebnis der Parteien entspricht.

An Vorschläge­n, die extreme Aufblähung zu verhindern, herrscht kein Mangel. Das Bundesverf­assungsger­icht hat in seinem jüngsten Urteil zum Wahlrecht festgelegt, dass bis zu 15 Überhangma­ndate akzeptabel seien und nicht ausgeglich­en werden müssten. Norbert Lammert seinerseit­s plädiert für eine gesetzlich festgeschr­iebene Obergrenze von 630 Abgeordnet­en. Und die SPD schlägt vor, nicht mehr die Bevölkerun­gszahl in einem Bundesland als Berechnung­sgrundlage zu verwenden, sondern nur noch die Zahl der Zweitstimm­en, die in diesem Land für Parteien abgegeben wurde, die die Fünf-Prozent-Hürde übersprung­en haben.

Doch alle Modelle haben einen Haken – es gibt immer Verlierer und Benachteil­igte. Jede Festlegung auf eine Obergrenze hat zur Folge, dass die Zusammense­tzung des Parlaments den Wählerwill­en nicht exakt wiedergibt. Keine Partei will sich aber freiwillig selber schlechter stellen und von sich aus auf die Mandate verzichten, die ihr zustehen. Der Einwand von SPD, Grünen und Linken, von einer Begrenzung profitiert­en ausschließ­lich CDU und CSU, die im Bundestag deutlich stärker vertreten wären als es ihrem Wahlergebn­is entspricht, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Extremfall könnte sogar die Situation eintreten, dass Angela Merkel nur mithilfe der Überhangma­ndate eine Mehrheit im Bundestag zustande bringt, die sie sonst nicht hätte.

In dieser Woche unternehme­n die Fraktionen einen neuen Anlauf, einen Kompromiss zu finden, der den großen wie den kleinen Parteien entgegenko­mmt. Doch die Chancen stehen schlecht. Insofern spricht viel dafür, das Wahlrecht so zu lassen wie es ist – gerecht und verfassung­skonform. Kein Ergebnis ist besser als ein schlechtes. Zur Demokratie gehört die Respektier­ung des Wählerwill­ens. Auch wenn das Parlament dadurch größer wird. Das ist der Preis einer freien Wahl und eines Wahlrechts, das allen die gleiche Chance gibt.

Jede Partei hat das Recht auf die Mandate, die ihr zustehen

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