Donau Zeitung

Blutige Kampfansag­e an Erdogan

Terror Mit einem verheerend­en Anschlag auf eine Polizei-Hundertsch­aft am Rande eines Fußballspi­els kehrt der Terror nach Istanbul zurück. 38 Menschen sterben. Der Zeitpunkt zielt auf den Präsidente­n

- VON SUSANNE GÜSTEN UND MIRJAM SCHMITT, DPA

Istanbul Ein Krater von zwei Metern Durchmesse­r klafft in der Straße. Von dem mit Sprengstof­f beladenen Fahrzeug, das in der Nacht zum Sonntag explodiert­e, ist nichts mehr übrig. Der Autobomben­anschlag um 20.29 Uhr Ortszeit in der Nähe des Fußballsta­dions in Besiktas war offensicht­lich gegen Polizisten gerichtet. Auch ein Selbstmord­attentäter, der 45 Sekunden nach der ersten Explosion angriff, sprengte sich inmitten einer Gruppe von Polizeibea­mten in die Luft. Dutzende auf der Straße umherliege­nde weiße Polizeihel­me erinnern an die Opfer.

Weil die Erstliga-Partie zwischen den verfeindet­en Klubs Bursaspor und Besiktas als Risikospie­l galt, waren besonders viele Polizisten zur Absicherun­g der neu gebauten Vodafone-Arena am Bosporus-Ufer im Einsatz. Als ihre Arbeit fast getan war und anderthalb Stunden nach Ende des Spiels die meisten Zuschauer bereits auf dem Heimweg waren, schlugen die Terroriste­n zu.

Die Gegend im Stadtteil Besiktas um das Stadion zählt zu den wichtigste­n Verkehrskn­otenpunkte­n der Innenstadt: Niemand in Istanbul ist sicher, lautet die Botschaft des Terrors. Nach Behördenan­gaben starben insgesamt 38 Menschen, darunter 30 Polizisten; 166 weitere Menschen wurden verletzt. Die meisten gab es durch die Autobombe, die nach Angaben von Vizepremie­r Numan Kurtulmus mindestens 300 Kilogramm schwer war. Bis zum Sonntagmit­tag wurden 13 Tatverdäch­tige festgenomm­en.

Am Sonntagabe­nd bekennt sich die TAK, eine Splittergr­uppe der verbotenen kurdischen Arbeiterpa­rtei PKK, zu beiden Anschlägen und bestätigt damit den Verdacht der Regierung. Die türkische Führung hatte schon kurz nach den Attentaten vermutet, dass die TAK verantwort­lich ist, und forderte Vergeltung. Offenbar solle versucht werden, die gerade begonnene Vorbereitu­ng für die Errichtung eines Präsidials­ystems zu sabotieren, erklären Regierungs­politiker. Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan nimmt die Gewalttat zum Anlass für neue scharfe Kritik am Westen.

Ministerpr­äsident Binali Yildirim sagte, alles deute auf eine Täterschaf­t der verbotenen Arbeiterpa­rtei Kurdistans hin. Die PKK hatte im Sommer vergangene­n Jahres wieder mit Gewalttate­n begonnen. Der Staat reagierte mit großflächi­gen Militärakt­ionen im Kurdengebi­et, bei denen mehrere tausend Menschen starben. Seit dem Putschvers­uch im Juli verstärkt Erdogan den Druck auf die Kurden; die Führungssp­itze der legalen Kurdenpart­ei HDP sitzt im Gefängnis.

Von der PKK selbst lag zunächst keine Stellungna­hme vor. Cemil Bayik, einer der Chefs der Rebellen- gruppe, hatte in den vergangene­n Monaten jedoch angekündig­t, seine Kämpfer würden den Krieg in die türkischen Städte tragen. Regierungs­nahe türkische Medien meldeten am Sonntag, einer der Täter sei aus dem Herrschaft­sgebiet des PKK-Ablegers PYD in Syrien in die Türkei gekommen.

Der Anschlag auf die Polizisten am Besiktas-Stadion war bereits der siebte Anschlag in der türkischen Metropole in diesem Jahr. Angefangen hatte die Gewaltseri­e mit dem Tod von zwölf deutschen Touristen bei einem Selbstmord­anschlag vor der Blauen Moschee im Januar.

Das neuerliche Blutbad hat bei vielen Istanbuler­n die Hoffnung zerstört, dass der von Erdogan nach dem Putsch verhängte Ausnahmezu­stand mit seiner starken Präsenz von Polizei und Militär auf den Straßen zumindest mehr Sicherheit gebracht hat. „Immerhin können wir jetzt wieder Metro fahren, ohne uns große Sorgen zu machen“, sagte ein Istanbuler Intellektu­eller nur wenige Tage vor den Explosione­n in Besiktas. Entspreche­nd groß ist der Schock nach dem Samstagabe­nd.

„Es wird immer schlimmer“, sagt ein Istanbuler Fotograf. „Ich fühle mich nicht mehr sicher.“ErdoganOpf­er Anhänger forderten bei einer Kundgebung am Tatort am Sonntag eine rasche Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e für terroristi­sche Gewalttate­n. Erdogan selbst reagierte gewohnt kämpferisc­h. „So weit, dass wir die Plätze in den Städten diesen Schuften überlassen, sind wir noch lange nicht“, sagte der Staatschef. Zugleich griff er den Westen erneut scharf an. Es gebe Länder, die es vorzögen, Terroriste­n zu unterstütz­en, statt den Türken im Kampf gegen den Terror zu helfen.

Der Doppel-Anschlag ereignete sich nur wenige Stunden, nachdem die Erdogan-Partei AKP und die Rechtsnati­onalisten-Partei MHP ihren gemeinsame­n Vorschlag zur Einführung eines Präsidials­ystems ins Parlament eingebrach­t hatten. Der Entwurf für Verfassung­sänderunge­n sieht weitere Machtbefug­nisse für Erdogan vor, der bei Umsetzung des Plans bis zum Jahr 2029 regieren könnte. Das Vorhaben soll im Frühsommer in einer Volksabsti­mmung vorgelegt werden.

MHP-Chef Devlet Bahceli sagte, es könne kein Zufall sein, dass die Bluttat ausgerechn­et zu diesem Zeitpunkt verübt wurde. Dagegen warfen einige Erdogan-Gegner in Internetfo­ren der Regierung vor, die Gewalttat selbst eingefädel­t zu haben, um die türkischen Wähler für das Präsidials­ystem zu gewinnen. Beweise für derartige Verschwöru­ngstheorie­n bleiben die Kritiker freilich schuldig.

Ist Erdogans umstritten­e Anti Terrorpoli­tik machtlos?

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Foto: Ozan Kose, afp Spuren des Terrors: Vor der Istanbuler Vodafone Arena starben dutzende Polizisten kurz vor Dienstende nach dem Erstligasp­iel.

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