Eigene Zähne auch noch mit 80 plus?
Prävention Das künstliche Gebiss im Alter ist kein unvermeidbares Schicksal. Mit Vorbeugung gelingt es oft, Schaden abzuwenden. Je früher man damit anfängt, umso besser, meint ein Experte
München Die Werbung suggeriert es tagtäglich: Ein herausnehmbares Gebiss im Alter ist die Normalität. Landauf, landab lächeln fitte Senioren mit ihren strahlend weißen „Dritten“in die Kameras. Ob Haftcreme oder Gebißreinigertabletten – diese Produkte scheinen in jedem Seniorenhaushalt gefragt zu sein. Doch ist das wirklich so? Sind dritte Zähne im Alter unausweichlich? Oder gibt es Menschen über 80, die noch ihre eigene Zähne besitzen?
Eine, der es wissen muss, ist Professor Christoph Benz. Er ist Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Alterszahnmedizin, Vorstandsmitglied der Bayerischen Landeszahnärztekammer sowie Vizepräsident der Bundeszahnärztekammer. Und er hat Beruhigendes zu berichten: „Heute verliert man immer seltener seine Zähne“, sagt er, „bis zum Alter von 75 Jahren betrifft das gerade mal zwölf Prozent.“Im Jahr 1997 ist noch jeder Vierte in dieser Altersgruppe vollständig zahnlos gewesen, heute ist es nur noch jeder Achte.
Was die älteren Senioren zwischen 75 und 100 Jahren angeht, so sehe es nur bei den Pflegebedürftigen nicht so gut aus. Laut der neuesten Deutschen Mundgesundheitsstudie vom August dieses Jahres sind unter ihnen mehr als die Hälfte völlig zahnlos, bei den nicht Pflegebedürftigen derselben Altersklasse dagegen haben über 60 Prozent noch eigene Zähne. Im Schnitt verfügen sie über zehn funktionstüchtige Zähne, bei den Pflegebedürftigen sind es mit fünf nur halb so viele.
Auch im höheren Alter noch eigene Zähne zu haben, werde immer mehr zum Normalfall, erklärt Benz. Mit den heutigen Möglichkeiten sei der Zahnerhalt auch gar nicht so schwer. Wichtig seien Vorbeugung und der regelmäßige Besuch beim Zahnarzt, um die Zähne kontrollieren und professionell reinigen zu lassen. Also sind jene, die im hohen Alter noch ihre eigenen Zähne haben, nicht einfach nur von der Natur bevorzugt? Nein, genetisch bedingt sei da gar nichts, betont Benz. „Es hat vielmehr damit zu tun, wie man seine Zähne pflegt.“
Die Unterstützung durch den Zahnarzt und sein Team, auch in Form der professionellen Zahnreinigung, sei da ein wesentlicher Faktor. Und selbst wenn es keinen eindeutigen Nachweis durch Studien dazu gibt: Die Zusammenhänge, wie sie die in regelmäßigen Abständen durchgeführte Deutsche Mundgesundheitsstudie offenbart, seien klar – die Prophylaxebehandlungen hätten seit der ersten Studie 1989 stark zugenommen, gleichzeitig sei die Zahngesundheit besser und besser geworden.
Worauf kommt es in puncto Zahngesundheit im Alter vor allem an? Auf die Ernährung, die persönliche Pflege, den Speichelfluss? Letzterer ist ein wichtiger Punkt, bestätigt Benz. Denn Speichel sei ein wahrer „Zaubersaft“: er bekämpft Bakterien, gibt den Zähnen Mineralstoffe zurück, reinigt und spült. Fazit: „Wenn er fehlt, gibt es schnell große Probleme.“Bekannt seien etwa in der Wissenschaft die Folgen für die Mundgesundheit, wenn die Droge „Crystal Meth“konsumiert werde: Sie führe zu Mundtrockenheit und schließlich dazu, dass die Zähne sehr schnell verfaulen.
Im Alter müsse der Speichel zwar nicht zwangsläufig weniger werden, erklärt Benz, doch nähmen ältere Menschen häufiger Medikamente, die den Speichelfluss beeinträchtigen könnten. Deshalb sollte man unbedingt auf Anzeichen einer Mundtrockenheit achten und, falls der Speichel weniger werde, den Arzt konsultieren. Möglicherweise könne dann ein Medikament, das zu Mundtrockenheit führt, gegen ein anderes ausgetauscht werden. Im Zweifelsfall könne auch der Zahnarzt messen, ob genügend Speichel vorhanden sei. Grundsätzlich gelte: Kauen regt den Speichelfluss an – egal, ob man nun eine Möhre kaue oder einen Kaugummi.
Was die persönliche Pflege der Zähne betrifft, so solle man möglichst nicht „wild drauflosarbeiten“, empfiehlt Benz, sondern sich lieber beraten lassen, denn: „Nicht jedes Zahnzwischenraumbürstchen passt in jeden Zahnzwischenraum, alles ist sehr individuell vom eigenen Gebiss abhängig.“Auch Zungenreinigung sei eine gute Sache, wenn man weiß, wie man es machen soll: Man schmecke besser, habe weniger Mundgeruch und sei somit sicherer in sozialen Kontakten, was zum Wohlbefinden im Alter dazugehöre.
Und schließlich noch der Punkt Essgewohnheiten: „Für die Zähne ist das gut, was auch für den Körper gut ist“, betont Benz. Da müsse man gar nicht viel überlegen. Zucker sei aus zahnärztlicher Sicht nicht grundsätzlich verboten – doch man solle Süßes auf alle Fälle nicht immer wieder zwischendurch über den ganzen Tag verteilt essen und auf versteckten Zucker achten, etwa in Ketchup oder Salatsoße. Bekannt ist auch, dass man mit säurehaltigen Lebensmitteln vorsichtig umgehen – und sich nicht unmittelbar nach deren Verzehr die Zähne putzen sollte. Sonst nämlich greift die Säure den Zahnschmelz verstärkt an.
Wer in all den genannten Punkten auf seine Zahngesundheit achtet, tut auch etwas für die Gesundheit seines gesamten Körpers: Immer wieder wird Ereignissen wie Schlaganfall und Herzinfarkt ein Zusammenhang mit Parodontitis nachgesagt. Aber auch zwischen Zahngesundheit und Diabetes, Lungenkrankheit, ja sogar Demenz soll es Verbindungen geben. Das sei „besonders spannend“, meint Benz.
Genug Gründe also, sich um die eigene Zahngesundheit zu kümmern und der Zahnlosigkeit im Alter vorzubeugen. „Je früher man damit anfängt, desto besser“, unterstreicht der Experte. Auch jüngere Erwachsene sollten daher regelmäßig „kontrollorientiert“zum Zahnarzt gehen und nicht denken, solange nichts wehtue, sei das nicht nötig. Wer rechtzeitig vorbeuge, könne mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass er auch im Alter noch eigene Zähne im Mund habe.
Dem „kontrollorientierten“Zahnarztbesuch misst Benz eine große Bedeutung bei. Es sei interessant zu sehen, dass laut Deutscher Mundgesundheitsstudie Senioren ab 65 Jahren immer öfter ohne konkrete Beschwerden zum Zahnarzt gingen, um nachsehen zu lassen, ob alles in Ordnung sei. Dass sie von allen Altersgruppen am häufigsten „kontrollorientiert“zum Zahnarzt gehen, sei eine positive Entwicklung, kommentiert Benz. Anders die jüngeren Erwachsenen, die dem Experten Sorgen machen: Es gebe bei Personen um die 40 den Trend, die Zähne nicht regelmäßig kontrollieren zu lassen. Das sei ein Fehler. Spätestens, wenn diese Leute älter seien, würden sie es bemerken.
Erfreut ist der Professor dagegegn darüber, dass Deutschland sich in Sachen Mundgesundheit im internationalen Vergleich sehen lassen kann. Genau gesagt sei es mittlerweile sogar „Weltmeister“. Deutschland erreiche in bezug auf Karieserfahrung, Parodontitis und völlige Zahnlosigkeit im internationalen Vergleich Spitzenpositionen, heißt es in der jüngsten Mundgesundheitsstudie Und das, so Benz, sei eine tolle Sache.
„Speichel ist ein wahrer Zaubersaft.“
Professor Christoph Benz Die Deutsche Mundgesundheitsstudie
Das Institut der Deutschen Zahnärzte, (IDZ), – eine gemeinsame For schungseinrichtung der Bundeszahn ärztekammer und der Kassenzahn ärztlichen Bundesvereinigung – hat im Jahr 1989 mit der ersten Deutschen Mundgesundheitsstudie den Grund stein für ein Monitoring der Mund gesundheit und der zahnmedizinischen Versorgung in der Bundesrepublik geschaffen. Inzwischen liegt die fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie vor. Sie zeigt einen insgesamt deutlich positiven Trend im Hinblick auf Ka ries und Parodontitis. Ein totaler Zahn verlust betrifft zwölf Prozent der jün geren und 33 Prozent der älteren Se nioren (75 bis 100 Jahre). (shs)