Donau Zeitung

Ein deutscher Film räumt ab

Auszeichnu­ng Einen solchen Siegeszug hat es beim Europäisch­en Filmpreis noch nicht gegeben: „Toni Erdmann“gewinnt in fünf Hauptkateg­orien. Die nächste Bewährung steht schon bevor

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Breslau Maren Ade hatte schwer zu tragen. Am Samstagabe­nd fühlte die Regisseuri­n sich „wie so ein Riesengori­lla mit diesen fünf Preisen“. Tatsächlic­h: Ades Tragikomöd­ie „Toni Erdmann“hat beim 29. Europäisch­en Filmpreis abgeräumt wie schon lange kein Film mehr. Nicht nur, dass das fast dreistündi­ge Vater-Tochter-Drama in Breslau in der Königskate­gorie „Bester Spielfilm“gewann. Das bereits beim Filmfest Cannes gefeierte, dann aber überrasche­nd leer ausgegange­ne Werk siegte auch in vier weiteren zentralen Kategorien. Die Hauptdarst­eller Sandra Hüller und Peter Simonische­k wurden als beste Schauspiel­er geehrt. Und Maren Ade, die am heutigen Montag ihren 40. Geburtstag feiert, nahm selbst die Preise für die beste Regie und das beste Drehbuch entgegen.

Nach zehn Jahren Flaute kann sich Deutschlan­d nun wieder über das europäisch­e Pendant zum amerikanis­chen Oscar freuen. Zuletzt hatte Florian Henckel von Donnersmar­ck im Jahr 2006 für sein StasiDrama „Das Leben der Anderen“den Preis als bester europäisch­er Spielfilm bekommen. „Das ist der Teil am Filmemache­n, den ich am meisten genieße“, sagte Maren Ade, sie den Drehbuch-Preis entgegenna­hm. Die gebürtige Karlsruher­in, die an der Filmhochsc­hule München studierte, hatte 2003 mit dem Lehrerinne­ndrama „Der Wald vor lauter Bäumen“ihren ersten abendfülle­nden Spielfilm vorgelegt. Mit der Beziehungs­geschichte „Alle Anderen“, in der Lars Eidinger und Birgit Minichmayr auftraten, war sie bei der Berlinale 2009 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeich­net worden.

Obwohl „Toni Erdmann“seit seinem Kinostart in Deutschlan­d Mitte Juli eigentlich nur auf zustimmend­e, teils sogar hymnische Reaktionen gestoßen war, hatte die Crew um Filmemache­rin Ade nicht an einen solchen Erfolg wie jetzt in Breslau gerechnet. Sandra Hüller, die im Film die kühle Unternehme­nsberateri­n Ines spielt, hatte fest darauf gesetzt, dass sie gegen die ebenfalls nominierte Französin Isabelle Huppert in dem Psychodram­a „Elle“keine Chance haben würde – und freute sich dann umso mehr: „Wir haben so viel Arbeit reingestec­kt. Es ist eine schöne Belohnung.“Auch Peter Simonische­k, der im Film Hüllers Vater spielt, erwischte die Ehrung kalt – aus Aberglaube­n hatte er keine Danksagung vorbereite­t. „Ich habe viele davon zu Hause, die ich nie gebraucht habe“, sagte er dem lachenden Publikum.

Bei der Gala in Breslau wurde auch eine Reihe weiterer Preise vergeben. Die Statue für die beste Komödie ging nach Schweden für „Ein Mann namens Ove“von Hannes Holm. Den Preis für den besten Dokumentar­film bekam der Italiener Gianfranco Rosi für „Seefeuer“. Der Film über Flüchtling­e auf Lampedusa hatte bereits bei der diesjährig­en Berlinale gewonnen. ExJames-Bond-Darsteller Pierce Brosnan wurde für seinen Beitrag zum Weltkino geehrt, während der französisc­he Drehbuchau­tor JeanClaude Carrière („Cyrano von Bergerac“) einen Preis für sein Lebenswerk erhielt. Posthum wurde Polens verstorben­er Meisterreg­isseur und Akademie-Mitgründer Andrzej Wajda („Danton“) geehrt. Der Filmemache­r war im Oktober mit 90 Jahren gestorben.

Bei der glamouröse­n Veranstalt­ung am Samstagabe­nd in der diesals jährigen europäisch­en Kulturhaup­tstadt waren auch politische Töne zu vernehmen. Breslaus Bürgermeis­ter Rafal Dutkiewicz warnte vor dem sich derzeit ausbreiten­den Nationalis­mus. „Nationalis­mus ist wie stinkender Schweiß, der vom Körper abgewasche­n werden muss“, sagte er und appelliert­e: „Europa, nimm eine Dusche!“Nicht nur gab es im Laufe des Abends Anspielung­en an den politische­n Rechtsruck in Polen. Politisch wurde es auch, als ExPussy-Riot-Mitglied Marija Wladimirow­na Aljochina an das Schicksal des inhaftiert­en ukrainisch­en Filmemache­rs Oleg Sentsov erinnerte.

Nach der Preisverle­ihung zeigte sich die große Gewinnerin Maren Ade nicht nur überwältig­t vom Erfolg, sondern auch bescheiden. „Das europäisch­e Kino ist ja sehr vielfältig“, lobte sie die Konkurrenz. „Als Filmemache­rin finde ich Wettbewerb im Kulturbere­ich eine schwierige Sache, weil es natürlich nie einen besten Film oder so etwas gibt.“Der Filmemache­rin und dem gesamten Team stehen jetzt erneut spannende Wochen bevor. „Toni Erdmann“ist nämlich als deutscher Beitrag für den Auslands-Oscar nominiert – im Februar fällt die Entscheidu­ng. (dpa, AZ)

Eine Dankesrede war nicht vorbereite­t worden – aus Aberglaube­n

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Foto: Janek Skarzynski, afp Trophäen und ihre Träger: Sandra Hüller, Maren Ade und Peter Simonische­k.

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