Daseinsfreuden, Alltagsdramen
Ballett Ein Abend, vier Choreografien: das Theater Augsburg zeigt „(R)evolution“. Vor allem zwei Stücke überzeugen
Augsburg Vom Ballett hoher klassischer Schule bis zum experimentellen Tanztheater – auf den Bühnen ist der Tanz heute in unterschiedlichsten Formen und Spielarten zu finden. Auf die Entwicklung vom klassischen Ballett hin zu einer modernen Formensprache, darauf spielt der Titel des neuen Ballettabends des Theaters Augsburg in der Brechtbühne an: Mit ganz unterschiedlichen Stücken von vier Choreografen zeugt „(R)evolution“davon, wie sich die heutige Form dieser Bühnenkunst aus der Präzision und Technik des Balletts klassischer Prägung entwickelte, wie es diese auf neue Art aufgreift und wie damit oft auch eine radikale Erneuerung einhergeht.
Etwa durch den Franzosen Maurice Béjart, der Emotionen und Gedanken in Schritte und Gesten übertrug und in dessen Compagnie der belgische Choreograf Lode Devos als Tänzer geformt wurde. In zehn Miniaturen zu Chansons seines Landsmannes Jaques Brel entwirft Lode ein Panorama des Lebens an sich, das die Daseinsfreude paart mit den Dramen des Alltags: der verflossenen Liebe, dem Schmerz über den Tod, dem Abschied von der Geliebten. Wie in Brels Melodien und Texten im Heiteren das Tragische steckt, machen die Tänzer der Augsburger Compagnie in Lodes Choreografie in Schritten und Bewegungen sichtbar.
Emotionsgeladen setzt sich der Abend fort, doch nicht auf die leichtfüßige und schwebende Art wie zu Beginn, sondern eruptiv, intensiv, dramatisch: Mario Schröders „Pour un clin d’oeil“– in Augsburg bereits gesehen bei der Ballettgala 2012. Das alte Thema, der Kampf zwischen Mann und Frau, er wird in Schritten ausgetragen, hervorragend und fesselnd interpretiert von der immer wieder begeisternden Yun-Kyeong Lee und Alexander Karlsson, der in der letzten Spielzeit noch Eleve am Haus war. Gegenseitige Faszination und Anziehung münden in Verletzung und Demütigung. Eine furios kraftvolle und impulsive Bewegungssprache mit vielen Sprüngen wechselt mit zarten und fließenden Formen, verstärkt durch eine eigenwillige Klangcollage mit Geräusch- und Tonfetzen. Ganze 18 Minuten bringen die Tänzer ein Höchstmaß an Präzision, Kraft und Ausdruck auf. Bravo!
Einen choreografischen Kontrast dazu setzt Dominique Dumais mit ihrem Stück „My Desert, my Rose“. Sie lässt die Tänzer die einzelnen Aspekte menschlicher Bewegung nachspüren, lässt sie deren Grenzen ausloten. Reduziert auf ein Fingerspreizen bis hin zu den weit ausholenden Gesten reicht diese Erforschung mit einem düsteren Grundton. Solo oder in der Gruppe und schließlich auch in einem eindringlichen Pas de deux (Riccardo de Nigris und Laura Armendariz) verschmelzen die Körper, wird Synchronität demonstriert und aufgebrochen, werden Figuren auf die Bühne geschüttelt, gedreht und gesprungen.
Die Dichte und Spannung, der ersten beiden Stücke kann der Abend in der zweiten Hälfte jedoch nicht halten. Auch nicht mit Krzystof Pastors technisch und in der farblichen Abstimmung der Kostüme ausgefeiltem, lupenrein klassischem Stück „Adagio & Scherzo“zu Franz Schuberts Streichquintett. Zum Genuss macht ihn aber die Brillanz der Augsburger Ballettcompagnie. O
Nächste Vorstellung