So schön kann Basketball sein
Spitzenspiel Ulmer Bundesliga-Team beschert seinen Fans einen unvergesslichen Abend. Der 78:63-Sieg über den deutschen Meister Brose Bamberg ist dabei nur ein Highlight
Neu Ulm Der Mann, Typ Oberarzt, kann nicht mehr. Da hat er über eineinhalb Stunden auf den Schiedsrichter geschimpft und jetzt muss er auch noch „Oh, wie ist das schön“trällern. Von der Stimme ist nicht mehr viel übrig. Über der randlosen Brille glitzern Schweißtropfen. Das Hemd: durchgeschwitzt. Die Halsschlagader pulsiert gefährlich. Im Hintergrund hüpft das Vereinsmaskottchen der Ulmer Basketballer, ein riesiger Hase, völlig euphorisiert zwischen den Zuschauern herum.
Ein Glück, dass auch dieses Basketballspiel nach dem vierten Viertel zu Ende ist. Daran ändert nichts, dass es ein ganz besonderes ist. Die beiden einzigen ungeschlagenen Mannschaften der Bundesliga sind gerade in der Ratiopharm-Arena aufeinandergetroffen. Bei Bamberg überrascht das niemand. Größter Etat, bester Kader, deutscher Meister. Ulm dagegen gehört zwar schon seit Jahren zum Besten der Liga, mit einem Durchmarsch an die Tabel- hatten sie aber wohl selbst nicht gerechnet. Beide Einschätzungen dürften sich gestern geändert haben. In einem begeisternden Spiel bezwangen die Ulmer den deutschen Meister mit 78:63. „Meine Mannschaft hat es geschafft, über sich hinauszuwachsen“, sagt Ulms Trainer Thorsten Leibenath am späteren Sonntagabend und bekommt das Lächeln einfach nicht aus dem Gesicht.
Schon im Vorfeld hatten die Verantwortlichen seines Vereins alles perfekt choreografiert. Zunächst gaben sie bekannt, dass der Erfolgstrainer Leibenath seinen Vertrag um weitere zwei Jahre verlängert hat. Und dann, wenige Minuten vor dem ersten Ballkontakt, drückt der Hallensprecher, der seine Halbschuhe in der Vereinsfarbe Orange lackiert hat, Publikumsliebling Per Günther das Mikrofon in die Hand. Kurz und bündig verkündete der, dass auch er seine Arbeitspapiere um zwei Jahre verlängert hat. Ein Aufschrei. Applaus. Spätestens jetzt ist klar: Das wird ein besonderer Abend. Die Stimmung auf den Rängen ist prächtig. Ähnlich wie im ebenfalls amerikanisch geprägten Eishockey sind deutsche Leistungsträger rar gesät in der Basketball-Bundesliga. Umso wertvoller sind sie als Identifikationsfiguren für die Fans.
Die Akzente setzt gestern Abend allerdings ein anderer: Tim Ohlbrecht. 2,10 Meter groß. Vollbart. Tätowierte Arme. Nach einem Jahr im ostsibirischen Krasnojarsk ist er im Sommer nach Ulm zurückgekehrt. 19 Punkte steuert er zum Sieg bei, der Topwert des Abends. Auf der Ehrenrunde nach dem Spiel geht Ohlbrecht voran. Hunderte Hände strecken sich ihm zu den Klängen infernalisch lauter Triumphmusik entgegen. Selten ist man als Zuschauer den Sportlern näher als beim Basketball. Echter Schweiß. Selten aber ist es auch lauter. Schwer zu glauben, dass die Spieler in den Auszeiten die Anweisungen ihrer Trainer hören, während aus den Lautsprechern AC/DC dröhnt.
Selbst der Mann in Reihe zwei, Typ Oberarzt, tut sich schwer, gelenspitze gen den Thunderstruck anzubrüllen. Das ist nicht sonderlich schlimm, denn er gibt wenig Gehaltvolles von sich. Immerhin stimmt auch er am Ende in die allgemeinen Lobeshymnen auf die Ulmer Basketballer ein. Zu Recht, denn diese beenden eine beeindruckende Siegesserie der Gäste aus Bamberg.
Saisonübergreifend 26 Siege in Folge hatten die bis gestern geschafft. Nur Alba Berlin war zu Glanzzeiten, die schon einige Jahre zurückliegen, noch erfolgreicher. Jetzt steht Bamberg wieder bei null Siegen in Folge. Ulm dagegen ist auch nach zwölf Spielen in dieser Saison noch ungeschlagen. Ulms Trainer Leibenath kennt all diese Zahlen, natürlich. Trotzdem tritt er gestern gewaltig auf die Euphoriebremse. „Wir haben zwei Punkte geholt, Bamberg hat zwei Punkte abgegeben – das ist alles, was hier heute passiert ist.“Das kann man so sehen. Als Trainer muss Leibenath das vermutlich sogar so sehen. In der Halle allerdings singen die Fans noch lange „Oh, wie ist das schön“.