Donau Zeitung

So schön kann Basketball sein

Spitzenspi­el Ulmer Bundesliga-Team beschert seinen Fans einen unvergessl­ichen Abend. Der 78:63-Sieg über den deutschen Meister Brose Bamberg ist dabei nur ein Highlight

- VON ANDREAS KORNES

Neu Ulm Der Mann, Typ Oberarzt, kann nicht mehr. Da hat er über eineinhalb Stunden auf den Schiedsric­hter geschimpft und jetzt muss er auch noch „Oh, wie ist das schön“trällern. Von der Stimme ist nicht mehr viel übrig. Über der randlosen Brille glitzern Schweißtro­pfen. Das Hemd: durchgesch­witzt. Die Halsschlag­ader pulsiert gefährlich. Im Hintergrun­d hüpft das Vereinsmas­kottchen der Ulmer Basketball­er, ein riesiger Hase, völlig euphorisie­rt zwischen den Zuschauern herum.

Ein Glück, dass auch dieses Basketball­spiel nach dem vierten Viertel zu Ende ist. Daran ändert nichts, dass es ein ganz besonderes ist. Die beiden einzigen ungeschlag­enen Mannschaft­en der Bundesliga sind gerade in der Ratiopharm-Arena aufeinande­rgetroffen. Bei Bamberg überrascht das niemand. Größter Etat, bester Kader, deutscher Meister. Ulm dagegen gehört zwar schon seit Jahren zum Besten der Liga, mit einem Durchmarsc­h an die Tabel- hatten sie aber wohl selbst nicht gerechnet. Beide Einschätzu­ngen dürften sich gestern geändert haben. In einem begeistern­den Spiel bezwangen die Ulmer den deutschen Meister mit 78:63. „Meine Mannschaft hat es geschafft, über sich hinauszuwa­chsen“, sagt Ulms Trainer Thorsten Leibenath am späteren Sonntagabe­nd und bekommt das Lächeln einfach nicht aus dem Gesicht.

Schon im Vorfeld hatten die Verantwort­lichen seines Vereins alles perfekt choreograf­iert. Zunächst gaben sie bekannt, dass der Erfolgstra­iner Leibenath seinen Vertrag um weitere zwei Jahre verlängert hat. Und dann, wenige Minuten vor dem ersten Ballkontak­t, drückt der Hallenspre­cher, der seine Halbschuhe in der Vereinsfar­be Orange lackiert hat, Publikumsl­iebling Per Günther das Mikrofon in die Hand. Kurz und bündig verkündete der, dass auch er seine Arbeitspap­iere um zwei Jahre verlängert hat. Ein Aufschrei. Applaus. Spätestens jetzt ist klar: Das wird ein besonderer Abend. Die Stimmung auf den Rängen ist prächtig. Ähnlich wie im ebenfalls amerikanis­ch geprägten Eishockey sind deutsche Leistungst­räger rar gesät in der Basketball-Bundesliga. Umso wertvoller sind sie als Identifika­tionsfigur­en für die Fans.

Die Akzente setzt gestern Abend allerdings ein anderer: Tim Ohlbrecht. 2,10 Meter groß. Vollbart. Tätowierte Arme. Nach einem Jahr im ostsibiris­chen Krasnojars­k ist er im Sommer nach Ulm zurückgeke­hrt. 19 Punkte steuert er zum Sieg bei, der Topwert des Abends. Auf der Ehrenrunde nach dem Spiel geht Ohlbrecht voran. Hunderte Hände strecken sich ihm zu den Klängen infernalis­ch lauter Triumphmus­ik entgegen. Selten ist man als Zuschauer den Sportlern näher als beim Basketball. Echter Schweiß. Selten aber ist es auch lauter. Schwer zu glauben, dass die Spieler in den Auszeiten die Anweisunge­n ihrer Trainer hören, während aus den Lautsprech­ern AC/DC dröhnt.

Selbst der Mann in Reihe zwei, Typ Oberarzt, tut sich schwer, gelenspitz­e gen den Thunderstr­uck anzubrülle­n. Das ist nicht sonderlich schlimm, denn er gibt wenig Gehaltvoll­es von sich. Immerhin stimmt auch er am Ende in die allgemeine­n Lobeshymne­n auf die Ulmer Basketball­er ein. Zu Recht, denn diese beenden eine beeindruck­ende Siegesseri­e der Gäste aus Bamberg.

Saisonüber­greifend 26 Siege in Folge hatten die bis gestern geschafft. Nur Alba Berlin war zu Glanzzeite­n, die schon einige Jahre zurücklieg­en, noch erfolgreic­her. Jetzt steht Bamberg wieder bei null Siegen in Folge. Ulm dagegen ist auch nach zwölf Spielen in dieser Saison noch ungeschlag­en. Ulms Trainer Leibenath kennt all diese Zahlen, natürlich. Trotzdem tritt er gestern gewaltig auf die Euphoriebr­emse. „Wir haben zwei Punkte geholt, Bamberg hat zwei Punkte abgegeben – das ist alles, was hier heute passiert ist.“Das kann man so sehen. Als Trainer muss Leibenath das vermutlich sogar so sehen. In der Halle allerdings singen die Fans noch lange „Oh, wie ist das schön“.

 ?? Foto: dpa ?? Es gab kein Halten mehr bei den Ulmer Basketball­ern (v. l. Tim Ohlbrecht, Trainer Thorsten Leibenath, Björn Rohwer und Taylor Braun): ihr Team besiegte den deutschen Meister Brose Bamberg in einer denkwürdig­en Bundesliga Partie mit 78:63.
Foto: dpa Es gab kein Halten mehr bei den Ulmer Basketball­ern (v. l. Tim Ohlbrecht, Trainer Thorsten Leibenath, Björn Rohwer und Taylor Braun): ihr Team besiegte den deutschen Meister Brose Bamberg in einer denkwürdig­en Bundesliga Partie mit 78:63.

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