Zurück zur Zeichensprache
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka hat uns soeben eine traurige Wahrheit mitgeteilt: Jeder siebente Mitbürger ist partieller oder totaler Analphabet. Trotzdem floriert Deutschlands Wirtschaft. Das stärkt den Verdacht, dass alle Schreib- und Lesekunst bedeutungslos ist.
Man muss eben bei der Kommunikation nicht auf Stift und Schreibpapier, sondern auf die Fähigkeit frühester Vorfahren zurückgreifen. Tatsächlich nutzt unser Volk immer öfter die bewährten Mittel der Zeichen- und Trommelsprache. Der gekrümmte Zeigefinger, der an die Schläfe klopft, gehört unter Autofahrern längst zur selbstverständlichen Basisverständigung. Und wer bei einem Rockkonzert einmal erlebt hat, wie stundenlanges Trommeln die Besucher in rauschhafte Begeisterung versetzt, erkennt schlagartig die Überflüssigkeit der Alphabetisierung bei der Herstellung von Lebenslust.
Ein paar restliche Analphabetenprobleme werden sich leicht lösen lassen. Das Bundeskriminalamt, so wird gemeldet, kann die Stellen für Kommissariatsanwärter nicht besetzen, weil sogar Abiturienten beim Rechtschreibtest reihenweise durchfallen. Wenn niemand mehr zum Lesen und Schreiben gezwungen wird, ist endlich die ersehnte Gleichheit aller erreicht. Dann ist auch jener Geschlechterkampf überwunden, den Hedwig Dohm 1876 in ihrer Denkschrift „Der Frauen Natur und Recht“in den Satz gefasst hat: „Jede Frau, die schreiben und lesen kann, steht an Fähigkeiten über dem Mann, der diese Kunst nicht versteht.“