Luigi Malerba – Die nackten Masken (62)
Dann verneigte er sich flüchtig vor dem Purpurträger und näherte sich einem Stuhl, hielt aber gleich wieder inne und sah den Kardinal in Erwartung einer zustimmenden Gebärde an. „Setz dich ruhig hin.“Severo setzte sich hin, dann heftete er den Blick auf ein großes Fresko, das eine nackte Frau darstellte, und hinter einem Busch zwei bärtige Männer, die sie aus ihrem Versteck betrachteten. Der Kardinal bemerkte sein Interesse. „Susanna und die Alten.“„Eine Hure.“„Nein, sie ist keine Hure.“„Aber sie ist ganz nackt, und mir scheint, sie blickt mich mit ihren Augen an.“Der Kardinal lächelte. „Sie blickt deinen Stuhl an. Wenn ich mich auf deinen Platz setze, dann blickt sie den Kardinal Ottoboni an.“Severo schien nicht überzeugt. „Wird schon stimmen, daß sie keine Dirne ist, wenn Ihr es sagt.“
„Susanna ist eine Gestalt aus der Bibel. Sie war eine ehrbare Frau, verheiratet mit einem ehrbaren Mann, mit dem sie in Babylon lebte. Und das da sind zwei alte Richter, die ihr im Garten auflauern und sie beäugen, während sie nackt ihr Bad nimmt. Dann fordern sie sie auf, mit ihnen zu liegen.“„Mit allen beiden?“„Ja, mit allen beiden. Aber Susanna verweigert sich ihren Wünschen, worauf jene ihr drohen, sie wegen Ehebruchs anzuzeigen.
Wenn sie ihnen nicht zu Willen wäre, würden sie erzählen, sie hätten sie gesehen, wie sie ihren Gatten mit einem jungen Gärtner betrog. Obwohl Susanna wußte, daß Ehebruch mit dem Tod bestraft wurde, ließ sie sich nicht erpressen.“
„Und die hätten sie wegen eines Ficks zum Tode verurteilt?“
„So lautete das Gesetz in Babylonien. Aber einem Jüngling namens Daniel gelang es, die beiden Alten zu entlarven und zu beweisen, daß sie gelogen hatten. Susanna wurde freigesprochen und die beiden Alten wurden zum Tode verurteilt.“
„Entschuldigt, Eminenz, aber dieser Daniel, hatte der sie gefickt? Wenn nicht, dann stimmt was nicht mit dieser Geschichte.“
„Daniels Zeugnis war uneigennützig und hatte nur den Zweck, eine unschuldige Frau zu retten.“„Wenn Ihr das sagt.“„Das sagt die Bibel.“„Und die beiden Alten werden wegen so einer Kleinigkeit getötet?“
„Üble Nachrede wurde in jenen Zeiten mit großer Strenge bestraft.“
„Wenn man nach der Bibel ginge, wer bliebe dann in Rom noch verschont?
Gerade noch die Kürbisse in den Gemüsegärten.“
„Bei uns ist das Gesetz zum Glück weniger streng.“
Der Kardinal ging gewandt zu anderen Themen über.
„Was hat man dir unten in der Küche zu essen gegeben?“
„Zwei Eier und eine gebackene Leber, feine Sachen. Ich war so fertig, daß ich mich nicht mehr auf den Beinen halten konnte.“„Und jetzt?“„Jetzt bin ich stark wie ein Hengst.“
Severo sah sich um und bewunderte noch einmal den Luxus des Salons, dann hob er die Augen zur goldenen Kassettendecke und blickte schließlich dem Kardinal ins Gesicht.
„Ihr habt mich doch nicht gerufen, um mir die Geschichte von Susanna zu erzählen?“Der Kardinal lächelte wohlwollend.
„Du hast mich etwas über diese nackte Frau gefragt, und ich habe dir geantwortet.“„Und jetzt?“„Jetzt sage ich dir frei heraus, daß du bei unserem ersten Gespräch etwas gesagt hast, was mich sehr interessiert. Du hast nämlich behauptet, im Auftrag eines Kardinals gearbeitet zu haben.“„Glaubt Ihr mir nicht?“„Aus deinen Worten und deiner Sicherheit muß ich schließen, daß du nicht gelogen hast.“
„Es ist die hochheiligste Wahrheit, Eminenz.“
„Du wärest also bereit, mir den Namen des Kardinals zu sagen, der dir den besagten Auftrag gegeben hat.“Severo erstarrte. „Das dürft Ihr nicht von mir verlangen. Ihr habt mir gesagt, es interessiert Euch nicht, den Namen dieses Herrn zu kennen. Er ist Kardinal, Ihr seid Kardinal, warum fordert Ihr mich heraus?“
„Darum. Aus Gründen, die ich dir nicht erkläre, die aber mein Amt und meine Sicherheit betreffen, muß ich dich jetzt bitten, mir diesen Namen zu sagen. Du kannst natürlich mit meiner absoluten Verschwiegenheit rechnen.“
Severo war sehr erstaunt über die Bitte des Kardinals, aber er antwortete mit verwegener Sicherheit.
„Es tut mir leid für Euch, aber diesen Namen werde ich Euch nie sagen.“
Der Kardinal hob die Augen, als wollte er die goldene Kassettendecke um Rat fragen.
„Hast du kein Vertrauen in meine Worte?“„Ich traue niemandem.“„Ich habe dir meine Verschwiegenheit versprochen, und das ist ein Versprechen, für das dieses Gewand, das ich trage, und dieses Kreuz auf meiner Brust Bürgschaft leisten.“
„Euer Kreuz da auf dem Magen bedeutet mir gar nichts. Ihr könnt mir so viele Versprechungen machen wie Ihr wollt, aber Ihr verliert nur Eure Zeit. Für mich bleibt ein Geheimnis ein Geheimnis, und ich mache den Mund nicht auf, nicht einmal wenn Ihr Euch den Himmelskönig, den Papst und alle Heiligen des Kalenders als Fürbitter herholt.“
Der Kardinal hatte bereits gemerkt, daß Severo hartköpfiger war als er sich vorgestellt hatte.
„Ich habe dich in meinem Hause aufgenommen, ich habe dich pflegen lassen, ich habe dir meine Gastfreundschaft gewährt. Und das ist also deine Dankbarkeit?“
„Ich kann Euch vielmals Danke sagen, wenn Euch am Dank eines hartgesottenen Straßenräubers liegt.“
„Ich sehe, du bist sehr entschlossen, aber ich bin es auch.“
„Bringt mich nicht zur Weißglut, Eminenz. Es tut mir wirklich leid, aber ich kann Euch diesen Namen nicht nennen, weil ich versprochen habe, ihn nicht zu verraten.“„Hast du einen Schwur getan?“„Ich habe ein Versprechen gegeben. Für mich ist das mehr als ein Schwur.“
„Und ich verspreche dir, daß ich den Namen niemandem sagen werde. Ist mein Versprechen nicht ebensoviel wert wie deins?“
„Ihr wollt mich in Harnisch bringen, Eminenz.“Kardinal Ottoboni sprach mit leiser Stimme in vertraulichem Ton, der den bedrohlichen Sinn seiner Worte vielleicht etwas abmildern sollte.
„Du weißt, daß es unfehlbare Methoden gibt, um Schuldige und manchmal auch Unschuldige zum Reden zu bringen. Es sind Methoden, die von allen Regierenden dieser Welt angewandt werden, und auch von der Kirche, wenn sich die Notwendigkeit ergibt.