Donau Zeitung

Der Doppelpass wird zum Wahlkampf-Thema

Leitartike­l Fördern oder behindern zwei Staatsange­hörigkeite­n die Integratio­n von Einwandere­rn? Das ist die Frage, und darüber muss geredet werden

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Der alte Glaubensst­reit um die doppelte Staatsbürg­erschaft für türkischst­ämmige Deutsche flammt wieder auf. CDU und CSU rütteln an jener Reform, die sie gemeinsam mit der SPD beschlosse­n haben. Seit 2014 dürfen hier aufgewachs­ene Kinder von Einwandere­rn die Staatsbürg­erschaft ihrer Eltern behalten. Davor mussten sie sich mit 23 entscheide­n, ob sie Deutsche werden oder den ausländisc­hen Pass behalten wollen. Zu dieser „Optionspfl­icht“will die Union nun zurück.

Die CDU-Kanzlerin Merkel hält nichts davon und distanzier­t sich von dem mit knapper Mehrheit ergangenen Beschluss ihres Parteitags. Doch das brisante Thema ist auf dem Tisch, und die prompte hitzige Debatte bietet einen Vorgeschma­ck darauf, wie rau es 2017 in dem von der Flüchtling­sfrage dominierte­n Wahlkampf zugehen wird. SPD, Grüne, Linksparte­i und Liberale preisen die doppelte Staatsbürg­erschaft seit vielen Jahren als eine Art Königsweg zur Integratio­n an. Für die Herolde einer multikultu­rellen Gesellscha­ft ist der Doppelpass ein unverzicht­bares Instrument, um Menschen aus anderen Kulturkrei­sen das Leben hierzuland­e zu erleichter­n und die Aufnahmebe­reitschaft der Deutschen zu demonstrie­ren. Entspreche­nd scharf fallen die Reaktionen auf den Vorstoß der CDU aus. Von „schlimmem Populismus“(Gabriel) ist die Rede, von der „Ausgrenzun­g“der Deutschtür­ken und einem skandalöse­n „Rechtsruck“. Man tut so, als ob die bestmöglic­he Einglieder­ung am seidenen Faden des Doppelpass­es hinge – und versucht, die Debatte darüber im Keim zu ersticken. Richtig ist, dass die Union mit diesem emotional aufgeladen­en Thema nationalko­nservative Wähler von der AfD zurückgewi­nnen will. Richtig ist auch, dass sich auf absehbare Zeit keine Regierungs­mehrheiten für die Rückkehr zur Optionspfl­icht finden lassen dürften. Und natürlich stellt sich die Frage, warum CDU und CSU 2013 die großzügige Verleihung der heute als „großes Integratio­nshinderni­s“kritisiert­en doppelten Staatsbürg­erschaft zugelassen haben. Trotzdem muss es erlaubt sein, den Mythos von der segensreic­hen Wirkung des Doppelpass­es – etwa 600000 Türken haben mittlerwei­le zwei Staatsange­hörigkeite­n – im Lichte der Realitäten und neuer Entwicklun­gen zu hinterfrag­en, ohne gleich als „rechts“abgestempe­lt zu werden.

Erstens ist der Doppelpass, wie die Entstehung türkischer und muslimisch­er Parallelge­sellschaft­en zeigt, kein Allheilmit­tel der Integratio­n, sondern fördert im Gegenteil in vielen Fällen die Tendenz zur selbst gewollten Abschottun­g. Zweitens schwappen die innertürki­schen Konflikte zunehmend auf Deutschlan­d über, wobei die Loyalität Hunderttau­sender mehr Erdogan und seinem Regime als dem deutschen Staat gilt. Und drittens: Wie halten wir es in Sachen Doppelpass mit den vielen Flüchtling­en, die zu uns gekommen sind und noch kommen werden? Deren Integratio­n ist eine immense Aufgabe. In der Debatte um den Doppelpass geht es letztlich auch um die Frage, wie diese Herausford­erung am besten zu meistern ist.

Niemand muss, wenn er in Deutschlan­d leben will, seine Herkunft und seine Tradition abstreifen. Aber er sollte die in dieser Gesellscha­ft geltenden Regeln akzeptiere­n und sich zu diesem freiheitli­chen Rechtsstaa­t bekennen. Der Pass ist mehr als ein Stück Papier. Warum soll sich ein Einwandere­r nicht ohne Wenn und Aber dafür entscheide­n, nur deutscher Staatsbürg­er zu sein und so seine Loyalität zu zeigen? Jedenfalls sollte der Doppelpass für Migranten aus Nicht-EU-Staaten die Ausnahme und jenen vorbehalte­n sein, die in Deutschlan­d auch wirklich angekommen und integriert sind.

Überprüfun­g im Lichte der Realitäten

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