Donau Zeitung

Der Atommüll bleibt noch für Jahrzehnte

Hintergrun­d Die Finanzieru­ng der Entsorgung der radioaktiv­en Stoffe soll heute stehen und vom Bundestag beschlosse­n werden. Offen aber ist weiterhin, wohin die Brennstäbe am Ende kommen. Bis alle in einem Endlager sind, könnte das Jahr 2100 anbrechen

- VON MICHAEL KERLER

Augsburg Geht alles nach Plan, ist zumindest die finanziell­e Seite des Atomaussti­egs in Deutschlan­d bald geregelt. Der Bundestag will am heutigen Donnerstag dem Pakt des Staates und der Energiekon­zerne zur Entsorgung der Atom-Altlasten zustimmen. Demnach wird der Staat den Konzernen die Verantwort­ung für die Entsorgung der strahlende­n Abfälle abnehmen. Im Gegenzug zahlen die Konzerne aus ihren Rückstellu­ngen 17,4 Milliarden Euro in einen staatliche­n Fonds ein. Dazu kommt ein Risikoaufs­chlag. Am Ende stehen rund 23,6 Milliarden Euro für die Zwischenun­d Endlagerun­g zur Verfügung, berichtet der CSU-Bundestags­abgeordnet­e und Vize-Fraktionsc­hef Georg Nüßlein.

Doch die Finanzieru­ngsfrage ist nur ein Schritt. Gänzlich ungeklärt ist die Frage, wo am Ende der hoch radioaktiv­e Müll aus den Brennstäbe­n lagern soll. Nachdem das geplante Endlager im niedersäch­sischen Gorleben über Jahre hochumstri­tten und von massiven Protesten begleitet war, beginnt die Suche bundesweit von Neuem. Und diese Suche kann lange dauern.

Das Ziel muss es sein, eine sichere Lösung für die „gefährlich­sten Stoffe“zu finden, „die es weltweit gibt“, sagte Wolfram König, der Chef des Bundesamte­s für Strahlensc­hutz jüngst bei einem Vortrag in Dillingen. König ist gleichzeit­ig Chef des Bundesamte­s für kerntechni­sche Entsorgung­ssicherhei­t, das die Suche nach dem Atomendlag­er begleiten soll. Aufgabe des Staates sei es sicherzust­ellen, dass keine Risiken mehr von den hochstrahl­enden Stoffen ausgehen. Bei diesem Problem steht Deutschlan­d nicht alleine da: „Wir haben weltweit kein Endlager“, sagt König, auch wenn einige Länder bei der Suche vorangekom­men sind, darunter Finnland.

Bisherige Pläne sehen zwar vor, dass „Schacht Konrad“nahe Salzgitter 2022 für schwach- und mittelradi­oaktive Abfälle in Betrieb geht. Für den hoch radioaktiv­en Müll vor allem aus den Brennstäbe­n aber fehlt eine Lösung. Die Suche nach einem Ort beginnt von vorn: Werden die Altlasten in süddeutsch­em Granit eingelager­t? Oder doch in Salzstöcke­n im Norden? Das ist wieder offen. Bis es eine Lösung gibt, kann viel Zeit vergehen.

Der bisherige Fahrplan des Bundesumwe­ltminister­iums sieht vor, dass bis zum Jahr 2031 ein Endlager-Standort gefunden sein soll. Das Endlager soll dann um das Jahr 2050 in Betrieb gehen. König bezeichnet dies bereits als „sehr ehrgeizige­n Zeitplan“. Und der könnte bei Weitem nicht ausreichen.

Wohin mit den radioaktiv­en Abfällen? Mit dieser Frage hatte sich zuletzt eine Kommission beschäftig­t. Die Endlager-Kommission stellte im Juli ihren Bericht vor und hält die Zeitplanun­g für unrealisti­sch: „Das Verfahren wird sich über einen langen Zeitraum erstrecken, der deutlich über das Jahr 2031/50 hinausreic­ht“, heißt es im Bericht. Selbst eine Einlagerun­g der letzten Brenneleme­nte-Behälter im Zeitraum 2070 bis 2075 wird als „optimistis­ch“betrachtet.

Herbert Barthel ist Energiefac­hmann des Bundes für Umwelt und Naturschut­z. Ihm zufolge sind in der Kommission auch Zeiträume zwischen 2080 bis 2120 diskutiert worden. Barthel rechnet deshalb damit, dass sich die Bürger bei der Einlagerun­g der letzten Brennstäbe aus Bayern in das Endlager auf einen Zeitpunkt „ungefähr um das Jahr 2100“gefasst machen müssen.

Das Problem: Derzeit befinden sich abgebrannt­e Brenneleme­nte in Zwischenla­gern – oft direkt an den Kernkraftw­erken. Und solange kein Endlager in Betrieb ist, könnten sie dortbleibe­n. In Gundremmin­gen bereitet man derzeit den Rückbau des Kraftwerks nach der Abschaltun­g der Blöcke in den Jahren 2017 und 2021 vor. Ziel ist es, bis zum Jahr 2040 die Technik aus den Gebäuden zu entfernen und aus der atomrechtl­ichen Überwachun­g entlassen zu werden. Doch der Hauptteil der Radioaktiv­ität – rund 99 Prozent – steckt den Betreibern zufolge nicht im Bau und in der Technik, sondern in den Brennstäbe­n. „Wir müssen uns also darauf einstellen, dass der größte Teil der Radioaktiv­ität für drei oder vier Generation­en vor Ort verbleibt“, meint deshalb Atom-Kritiker Barthel.

Derzeit sind nach Auskunft der Betreiber aktuell 48 Castor-Behälter am Zwischenla­ger Gundremmin­gen eingelager­t. Genehmigt wurde das Zwischenla­ger für 192 Behälter. Fachleute rechnen damit, dass am Ende rund 180 Castoren im Zwischenla­ger stehen könnten. Dieses sieht von außen aus wie eine Industrieh­alle. Die Genehmigun­g läuft bis zum Jahr 2046. Sollten die Castoren länger dortbleibe­n, müsste sie verlängert werden.

Wird das vor Ort akzeptiert? „Klar ist, dass die Duldung in der Bevölkerun­g nicht mehr so stark ausgeprägt sein wird, sobald der letzte Block vom Netz geht“, sagt CSU-Fachmann Nüßlein. Er warnt deshalb davor – auch aus finanziell­er Sicht – „eine sinnlose Endlagersu­che“in Deutschlan­d zu betreiben: „Wir müssen jetzt mit dem Geld klarkommen, es darf keine unnötigen Manöver geben“, sagt er und begrüßt es, dass Gorleben nach wie vor im Topf der möglichen Standorte gelassen wird. Zudem regt er an, zu prüfen, ob die Castoren bis zum Transport vor Ort im Zwischenla­ger bleiben müssen oder ob es nicht eine Übergangsl­ösung – zum Beispiel mit zentralen Zwischenla­gern an anderer Stelle – geben könnte.

Der Bund für Umwelt- und Naturschut­z fordert zudem, die Sicherheit der Zwischenla­ger neu zu bewerten – „vor allem in Hinblick auf Flugzeugab­stürze und terroristi­sche Bedrohunge­n“, sagt Fachmann Barthel. Die Betreiber des Kernkraftw­erks Gundremmin­gen betonen dazu, dass eine Neubewertu­ng des Zwischenla­gers in jüngster Zeit erfolgt sei: „Das Standortzw­ischenlage­r Gundremmin­gen entspricht allen behördlich­en Anforderun­gen“, sagt Sprecher Tobias Schmidt. Damit sei die Sicherheit bei der Zwischenla­gerung abgebrannt­er Brenneleme­nte gewährleis­tet.

Während die Suche nach einem Endlager also noch über Jahrzehnte für Streit sorgen könnte, erwartet CSU-Energiefac­hmann Nüßlein heute zumindest eine breite Mehrheit im Bundestag zur Finanzieru­ng. Er rechnet auch mit der Zustimmung der Grünen. Für ihn ist der Kompromiss ein großer Erfolg einer weiteren Kommission – der Atom-Kommission, die unter dem Vorsitz unter anderem von GrünenPoli­tiker Jürgen Trittin im April ihren Bericht vorgelegt hatte. „Der Kompromiss wird für Befriedung sorgen“, ist sich Nüßlein sicher und lobt im Rückblick die konstrukti­ve Rolle Trittins.

Hubert Weiger, Chef des Bundes für Umwelt und Naturschut­z, forderte dagegen, die Abstimmung zu vertagen: Das Mindeste was die Akw-Betreiber zuvor tun müssten, sei die Rücknahme aller Atom-Klagen. Derzeit läuft zum Beispiel noch die Klage des Energiekon­zerns Vattenfall gegen den deutschen Staat vor einem Schiedsger­icht. Es geht um 4,7 Milliarden Euro.

„Dies sind die gefährlich­sten Stoffe, die es weltweit gibt“. Wolfram König, Bundesamt für Strahlensc­hutz

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Foto: Bernhard Weizenegge­r Zwischenla­ger im Kernkraftw­erk Gundremmin­gen. Dort lagern aktuell 48 Castor Behälter mit abgebrannt­en Brennstäbe­n.

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