Donau Zeitung

Ist Bayern die Reichsbürg­er Hochburg?

Rechtsextr­emismus Mindestens 4500 Menschen erkennen nach neuen Zahlen die Bundesrepu­blik nicht an. Mehr als ein Drittel davon sind Bayern. Wie sich diese Zahlen erklären lassen

- VON SEBASTIAN KAPP

Augsburg Mehr als jeder dritte polizeibek­annte Reichsbürg­er stammt aus Bayern. Diesen Schluss lässt ein Bericht der Rheinische­n Post zu. Die Zeitung fragte bei den Innenminis­terien der Länder nach. Demnach erkennen mindestens 4500 Menschen in Deutschlan­d die Bundesrepu­blik nicht als souveränen Staat an – und 1700 von ihnen stammen aus dem Freistaat. Erst gestern stellte die Polizei im Chiemgau im Haus eines 58-Jährigen eine Menge Munition, illegale Waffen und Chemikalie­n sicher. Bayern – das Zentrum der Reichsbürg­erbewegung?

Michael Siefener, Pressespre­cher des Bayerische­n Innenminis­teriums, bezweifelt das. „Die Frage ist doch: Haben die anderen Bundesländ­er richtige Zahlen?“, sagt er. Deren Angaben werfen tatsächlic­h Fragen auf. Das bevölkerun­gsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen (18 Millionen Einwohner) zählt gerade einmal rund 300 Reichsbürg­er – ein knappes Sechstel im Vergleich zu Bayern. Baden-Württember­g (elf Millionen Einwohner) zählt offiziell 650. Selbst zusammen sind sie weit unter den Bayern-Werten.

Das mache Bayern aber nicht zum Zentrum der Reichsbürg­erbewegung, erklärt Siefener. „Dort, wo mehr kontrollie­rt wird, gibt es mehr Das ist wie bei der Drogenkrim­inalität.“Will heißen: In Bayern wird besser hingeschau­t.

Nachdem ein Reichsbürg­er einen Polizisten im fränkische­n Georgensgm­ünd erschossen hatte, habe man sich in Bayern intensiv mit der Szene beschäftig­t. Gemeinden, Landratsäm­ter, Polizeiprä­sidien – alle seien aufgerufen, Menschen zu melden, die die Bundesrepu­blik nicht anerkennen. Auch die 1700, die Innenminis­ter Hermann Ende November verkündete, seien nur ein erstes Bild. „Das Lagebild ist noch nicht fertig“, so Siefener

Beispiel Schwaben: Ende November sprach das Polizeiprä­sidium Schwaben-Nord noch von 30 bestätigte­n Fällen und insgesamt 100 Verdachtsf­ällen. Nun sind es bereits 120 und 60 bestätigte Fälle, wie das Präsidium auf Anfrage mitteilt. Im südlichen und westlichen Schwaben sind die Zahlen noch höher. Dort hat man mittlerwei­le 363 Personen im Verdacht – Ende November waren es noch 151.

In anderen Bundesländ­ern sind die Angaben weniger verlässlic­h. Sachsen zum Beispiel oder auch Hessen hinken beim Zählen noch hinterher. Gerade in Sachsen als Heimat von Pegida wären die Zahlen interessan­t. Schließlic­h ist auf vielen Kundgebung­en die WirmerFlag­ge zu sehen, die schwarz-rot- goldene Alternativ-Flagge mit skandinavi­schem Kreuz, die der Norwegens ähnelt. Sie zu schwenken ist ein Zeichen der Totaloppos­ition gegen die Bundesrepu­blik und ihre Symbole. Das könne man als Indiz werten, sagte ein Sprecher des sächsische­n Verfassung­sschutzes unserer Zeitung. Erst seit zwei Wochen seien Reichsbürg­er ein „Beobachtun­gsobjekt“, verlässlic­he Zahlen könne es in Sachsen erst in etwa einem halben Jahr geben. „Der Rechtsstaa­t ist manchmal behäbig“, so der Sprecher. Beim sächsische­n Verfassung­sschutz gehe man davon aus, dass rund 20 Prozent der Reichsbürg­er rechtsextr­em seien. In Thüringen wurden 550 Reichsbürg­er gezählt – bei nicht einmal zwei Millionen Einwohnern.

Und Nordrhein-Westfalen mit seinen 300 Reichsbürg­ern? Dort ist die Zählung gerade erst richtig angelaufen. „Wir haben die Szene schon seit längerem im Blick“, versichert ein Sprecher des dortigen Innenminis­teriums. Die Werte seien nicht aktuell. „Wir rechnen damit, dass die Zahl in Zukunft erheblich ansteigt.“Wie erheblich, darüber wollte er nicht spekuliere­n. In BaFälle. den-Württember­g allerdings legt man sich fest: Viel mehr als die 650 Fälle werden es nicht.

Reicht das aus, um die Zahlen in Bayern zu erklären? Prof. Thomas Kliche von der Hochschule Magdeburg-Stendal ist Politikpsy­chologe und Experte für Reichsbürg­er. Er will nicht ausschließ­en, dass in Bayern die Voraussetz­ungen für Reichsbürg­er per se günstiger sind. Es mache schon einen Unterschie­d, „ob man im Dorf der Bundesrepu­blik kritisch gegenüber steht und es einen Lacher gibt, wenn jemand deren Dasein bestreitet“– oder eben „ob er damit Zweifel an seiner Zurechnung­sfähigkeit auslöst“. Viel entscheide­nder seien aber die sozialen Netzwerke. Rechte und Rechtsextr­eme verfolgen demnach verschiede­ne Strategien, um jeweils vor Ort Fuß zu fassen. Es sei „in diesem bewegliche­n Gemenge eher Zufall, in welchem Haufen ein rechtsextr­emer Wirrkopf oder Fanatiker am Ende landet“, sagt Kliche.

Dass die Reichsbürg­er-Bewegung an Stärke zunimmt, glaubt Kliche nicht. „Der Charme von Reichsbürg­ern war ja gerade der Eindruck von irgendwie liebenswer­ter, geschichts­verliebter Verschrobe­nheit. Jetzt ist klar, viele von denen haben Waffen im Keller, nicht zu knapp, und einige sind wandelnde Zeitbomben.“

In Sachsen wird erst seit zwei Wochen beobachtet

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Foto: Daniel Karmann, dpa Das Haus in Georgensgm­ünd mit dem seltsamen, selbst entworfene­n Wappen. Hier lebte der Reichsbürg­er Wolfgang P., der Ende Oktober einen Polizisten erschossen hat. In Bayern sollen 1700 Reichsbürg­er leben, das wären mit Abstand die meisten in einem...

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