Donau Zeitung

Und das soll Sport sein?

Darts Es ist eine Mischung aus Oktoberfes­t, Fasching und Leistungss­port. Bierbäuchi­ge Männer werfen Pfeile auf eine Scheibe und die Fans flippen aus. Heute startet die WM in London

- VON TILMANN MEHL

Augsburg Er hätte sich dem ganzen Wahnsinn entziehen können. Eine andere Antwort und er wäre nun nicht von grölenden Teletubbie­s und tanzenden Super-Marios umgeben. Elmar Paulke hatte die Wahl.

Vor zwölf Jahren stellte ihn sein Vorgesetzt­er beim damaligen Sportsende­r DSF die Frage. Er konnte sich entscheide­n, ob er künftig vom Darts oder Hai-Fischen berichten wolle. Paulke entschied sich gegen das Meeres-Getier und der Wahnsinn nahm seinen Lauf. Mittlerwei­le ist Paulke das Gesicht des deutschen Dartsports. Dabei ist das Talent des 46-Jährigen überschaub­ar. Am heimischen Dartboard wird er teilweise von seinen sechs- und achtjährig­en Söhnen besiegt. Paulke ist Kommentato­r bei Sport1 und berichtet ab heute von der Darts-WM in London.

Im dortigen Alexandra Palace ist in den kommenden 18 Tagen der Irrsinn zu Hause. 72 Sportler kämpfen um den Titel. 72 Sportler, die mit dem Begriff „Athlet“im ursprüngli­chen Sinne nicht viel gemein haben. Bei vielen spannen die weit geschnitte­nen T-Shirts im Bauchberei­ch. Wo kickende Hochglanz-Profis Tätowierun­gen vom Tattoo-Artist ihres Vertrauens tragen, zieren Malerarbei­ten die Unterarme der Dartspiele­r, die aus der nächsten Hafenpinte stammen könnten. Sie tragen Spitznamen wie „The Power“oder „Snakebite“. Sie betreten die Bühne nicht einfach, sie bahnen sich den Weg durch 2500 ekstatisch­e Fans. Jeder hat seine eigene Einlaufmus­ik, an der Seite eine tief dekolletie­rte Schönheit, Fachtermin­us: Walk-On-Girl. Dann werden aus 2,37 Meter Entfernung Pfeile auf eine Dartscheib­e geworfen. Das soll Sport sein?

Paulke hat diese Frage schon oft gehört. Seine Antwort: „Ja.“Nach kurzen Nachdenken käme da fast jeder drauf. „Die Matches sind mental hart. Die Spieler sind da oben vollkommen allein. Es gibt keine Ausreden. Wenn du nicht triffst, bist du selber schuld.“Darts ist kein Spiel für Taktik-Liebhaber. Es ist viel- stündiges Elfmetersc­hießen. Die Briten bezeichnen den Sport als „Golf für die Arbeiterkl­asse“. Immer die gleiche Bewegung. Im Training werfen die Profis die Pfeile regelmäßig in die Treble 20. Es ist das Feld, das die höchste Punktzahl bringt: 60. Im Ally Pally aber, wie der Alexandra Palace genannt wird, ist nichts wie zu Hause. Verkleidet­e Fans grölen, Musik wummert in den Pausen aus den Boxen. Alkohol? Unbedingt.

„Darts hat zwei Stufen der Faszinatio­n: Als erstes bleibst du hängen und fragst dich, was denn hier los ist. Aber dann musst du es bald verstanden haben. Die Stimmung ist wichtig als Einstieg für den Laien, und dann merkt man, wie anspruchsv­oll der Sport ist“, beschreibt Paulke die Faszinatio­n. In Deutschlan­d erliegen ihr immer mehr. Das vergangene WM–Endspiel verfolgten über zwei Millionen Zuschauer. Derartige Quoten holt Sport1 mit Eishockey oder Handball nicht. Der Held der Szene ist nicht etwa Deutschlan­ds Nummer eins am Brett, Maximilian Hopp. Das Gesicht des Dartsports besitzt Paulke. „Die Insider-Szene mag mich, weil ich gesagt habe: Darts ist geil und außerdem ein Sport und weil ich nah dran bin“, so der Reporter. Er hat früher für eine Dokumentat­ion über Boris Becker den Bayerische­n Fernsehpre­is erhalten. Paulke ist ein renommiert­er Journalist. Darts möchte er nicht mehr missen. Wenn er Hintergrun­dinformati­onen braucht, ruft er einen der Spieler oder deren Manager an. Als er sich im vergangene­n Jahr auf die WM vorbereite­te, schlief er eine Nacht beim Schotten Peter Wright, der Nummer drei der Weltrangli­ste. Geschichte­n wie diese hat er in seinem Buch Game on! Die verrückte Welt des Darts beschriebe­n. Das Buch stieg gerade auf Platz 16 der Spiegel-Bestseller­liste ein.

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Foto: Imago Peter “Snakebite“Wright kam wegen seines Lieblingsg­etränks zu seinem Spitzna men: Einer Mischung aus Cidre und Bier.
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