Luigi Malerba – Die nackten Masken (65)
Wer als Renaissance Kardinal ein laster und lotterhaftes Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken
Zunächst sagte Hadrian, daß er lieber weiterhin auf seinem Maultierreiten würde, aber er ließ sich dann doch überreden, zumal die Fliegen ihm keine Ruhe ließen. Zusammen mit Manuel bestieg er die Sänfte, und stellte die beiden Maultiere den beiden ältesten Kardinälen zur Verfügung, die indes bereits in ihren Kutschen Platz genommen hatten.
In der Sänfte selbst hatte die päpstliche Vorratsverwaltung ein besonderes Kistchen mit zwei Flaschen frischem Apfelmost deponiert, nach dem es Hadrian, sonst so mäßig in allem, besonders gelüstete, und außerdem ein Körbchen mit Obst –Trauben, Feigen und Pfirsiche.
Als der Zug die Höhe der Magliana erreichte, kam unten aus der päpstlichen Sänfte wie aus einem Sieb ein Getropfe, das im Staub der Straße eine deutlich sichtbare Spur hinterließ. Die Mitglieder des Zugs fragten sich, ob der Papst wohl den Apfelmost vergossen habe, was ein schlechtes Zeichen seiner finsteren Stimmung gewesen wäre – oder ob das Tröpfeln sich eher körperlichen Ursachen verdanke. Es blieb ein Geheimnis, zumal später niemand Manuel, geschweige denn den Papst zu fragen wagte.
Kurz vor der Ankunft vor der Basilika von San Paolo fuori le Mura ließ Hadrian die Sänfte anhalten und wollte wieder das Maultier besteigen, nur ungern gefolgt von Manuel. Aber jetzt war das Ziel nah, und endlich noch vor Anbruch der Dunkelheit, erreichte der Papst mit seinem Gefolge San Paolo.
Kardinal Colonna versuchte Hadrian zu überzeugen, sich in eben dieser Basilika krönen zu lassen, weil St. Peter eine einzige Baustelle sei; aber mehr noch, um das Zusammenströmen größerer Menschenmengen in einer Stadt zu vermeiden, wo die Pest jeden Tag ihre Opfer hinmähte und sich unglücklicherweise auch schon unter dem Klerus verbreitet hatte. Indessen gab der Flame Anweisung, daß er am kom- menden Morgen alle Kardinäle im Kreuzgang zum Fußkuß empfangen würde, daß jedoch die Krönung dann gemäß der Tradition in St. Peter zu feiern sei.
Dreißig Dukaten
Alle Mitglieder des Heiligen Kardinalskollegiums wurden mittels eines päpstlichen Boten für den Sonntagmorgen in aller Frühe in die Basilika von San Paolo fuori le Mura zusammengerufen, um dort dem neuen Papst den Willkommensgruß zu entbieten und seiner Ansprache nach der Zeremonie des Fußkusses beizuwohnen. Aber es ging das Gerücht, daß Hadrian das Zeremoniell modifizieren wolle, noch ehe er in St. Peter gekrönt wurde, um den Fußkuß, genauer: den Kuß des Pantoffels – den er als eine Entwürdigung der Kardinäle ansah – abzuschaffen, und ihn durch einen einfachen Kuß des Rings zu ersetzen.
Sicher würde der neue Papst, soweit man ihn kannte, nie das herausfordernde Verhalten Leos X. annehmen, der einmal, als er von einer Jagdpartie zurückgekehrt war, die Kardinäle zu sich beorderte, und sich noch in den Stiefeln auf den Päpstlichen Thron setzte. Sollten sie seine verstaubten Stiefel küssen, wie sonst die golddurchwirkten Pantoffeln? Leo X. belustigte sich auf Kosten der Purpurträger, und nachdem er sie mit einem Stiefelkuß gedemütigt hatte, zog er bei anderer Gelegenheit angeblich einen Pantoffel aus und ließ ihn unter den Kardinälen herumreichen, damit sie den Kuß ohne Anstrengung ausführen konnten. Wie schon den allerersten Nachrichten, die seine Boten überbrachten, zu entnehmen war, erschien die Haltung des neuen Papstes von gänzlich anderer Art – stets förmlich, ohne jeden Anflug von Heiterkeit oder Ironie.
Aber das Problem des Pantoffels und des Rings war nur Gegenstand gutmütigen Klatsches. Ganz andere Dinge beunruhigten jetzt die Kardinäle. Es hieß, der neue Papst habe auf seiner Reise nach Rom einen ziemlich bedrohlichen Satz geäußert: „Die römische Kurie ist voller Flöhe und Läuse.“Behauptungen wie diese lösten Panik aus unter den in Rom residierenden hohen Prälaten, da sie wohl wußten, daß man Flöhe und Läuse erbarmungslos zerquetscht. Wer waren diese Flöhe? Wer waren diese Läuse? Spielte der Papst auf bestimmte Kategorien an, oder handelte es sich um eine allgemeine Äußerung über das römische Parasitentum? Meinte er vielleicht die Schwärme von Dichtern und Dichterlingen, die der verstorbene Leo X. aus allen Teilen Italiens angelockt hatte? Oder bezog er sich gar auf die kostspieligen großen Architekten und Maler, die in den vatikanischen Palästen und den römischen Kirchen arbeiteten? Bei solchen Mutmaßungen beruhigten sich einstweilen die Gemüter der hohen Prälaten, und sie fühlten sich wundersam unantastbar in ihrer Eigenschaft als Wahrer der Würde des glorreichen Päpstlichen Hofs.
Die wahren Beunruhigungen richteten sich indes mehr auf irdische Probleme. In der Tat fragten sich die Kardinäle – und mit einiger Furcht auch Kardinal Ottoboni – ob der flämische Papst wirklich die Absicht hatte, die „nicht päpstlichen“Benefizien abzuschaffen, die in den vergangenen Jahren das Kardinalsgehalt der Rührigeren unter den Mitgliedern des Heiligen Kollegiums angereichert hatten. Sicher würde das begehrte Amt des Kardinalkämmerers – eines der vornehmsten und ältesten Ämter der Kurie – nicht abgeschafft werden. Es bestand vielmehr die Gefahr, daß mit der Ankunft der Landsleute des Papstes die Konkurrenten sich vermehren könnten. Für Kardinal della Torre wurde die wahre Gefahr durch Ottoboni repräsentiert, der seine mondänen und kulinarischen Machenschaften weiterhin betrieb. Das ließ ihn als Person, die ihre Energien nicht zu vergeuden pflegte, auf den Gedanken kommen, daß das Amt des Kardinalkämmerers nicht nur alt und ehrwürdig war, sondern auch eine Goldmine für alle, die sich mit den offiziellen Dienstbezügen nicht zufrieden gaben und ihre Aufmerksamkeit auf die Regalien richteten, die sich von diesem Sitz aus leicht ergattern ließen. Also besser keine Zeit verlieren. Der Kardinal della Torre ließ den Diakon Baldassare zu einem vertraulichen Gespräch rufen.
„Du weißt“, begann er ohne Umschweife, „daß für den nächsten Sonntag, anläßlich der Begrüßungszeremonie für den neuen Papst, alle Mitglieder des Heiligen Kollegiums in die Basilika von San Paolo fuori le Mura beordert worden sind.“
Der Diakon senkte den Kopf als Bestätigung der Information.
„Alle Kardinäle müssen sich vor Tagesanbruch in der Basilika einfinden.
Das bedeutet, daß wir unsere Kutschen noch bei Dunkelheit besteigen müssen, wenn man bedenkt, daß die Fahrt von hier nach San Paolo mindestens eine Stunde dauert, und daß die Vorbereitung der Zeremonie noch weitere Zeit in Anspruch nimmt.“
Der Diakon tat, als verstünde er den Sinn dieser immer eindringlicheren Worte nicht. »66. Fortsetzung folgt