Donau Zeitung

Warum wollte das Kind töten?

Kriminalit­ät Ein Zwölfjähri­ger legt einen selbst gebauten Sprengsatz auf dem Weihnachts­markt in Ludwigshaf­en. Der Anschlag misslingt. Ein großes Rätsel bleibt

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Ludwigshaf­en Der Fall klingt unglaublic­h: Ein Zwölfjähri­ger steht im Verdacht, auf einem Weihnachts­markt in Ludwigshaf­en einen Sprengsatz gelegt zu haben. Noch nie war ein mutmaßlich­er Attentäter in Deutschlan­d so jung. Der Brandsatz ging nicht hoch und wurde erst Tage später gefunden. Ein Passant soll einen verdächtig­en Rucksack entdeckt und die Polizei verständig­t haben. Es waren wohl technische Mängel, die eine Explosion verhindert haben.

„Der Begriff Bombe ist übertriebe­n“, sagte der Leiter der Staatsanwa­ltschaft Frankentha­l, Hubert Ströber, gestern. Das Kind hat ein brennbares Pulvergemi­sch in ein Glas gegeben. Experten des Landeskrim­inalamtes fanden heraus, dass das Material aus Feuerwerks­körpern und Wunderkerz­en gewonnen wurde. Um das Glas waren mit Klebeband Nägel gewickelt. Wie sich das Gemisch in Kombinatio­n mit Feuer verhalten hätte, ist unklar.

Die Bundesanwa­ltschaft in Karlsruhe bestätigte, dass sie ermittelt. Der Focus hatte zuvor berichtet, der Bub sei stark religiös radikalisi­ert und könnte von einem unbekannte­n Mitglied der Terrormili­z Islamische­r Staat (IS) angestifte­t oder angeleitet worden sein. Viel mehr wurde über den Zwölfjähri­gen nicht bekannt, der sich inzwischen in einer „geschützte­n Einrichtun­g“befindet. Er wurde in Ludwigshaf­en geboren und wohnt auch dort, wie der Leiter der Staatsanwa­ltschaft bestätigte. Wegen des Umfeldes des Kindes habe er die Bundesanwa­ltschaft informiert. Die Staatsanwa­ltschaft selbst sehe von Ermittlung­en gegen das strafunmün­dige Kind ab, das sowohl die deutsche als auch die irakische Staatsbürg­erschaft hat.

Bereits am 26. November soll der Zwölfjähri­ge versucht haben, den gebastelte­n Sprengsatz auf dem Weihnachts­markt zu zünden, was allerdings misslang. Am 5. Dezember hat der mutmaßlich­e Täter dann möglicherw­eise einen zweiten Versuch unternomme­n und den Rucksack in einem Gebüsch in der Nähe des Rathauses deponiert.

Der Terrorismu­sexperte der Stiftung Wissenscha­ft und Politik, Guido Steinberg, hält die Bezeichnun­g „Terrorist“für den zwölfjähri­gen Verdächtig­en dennoch für unangemess­en. „Ich habe Schwierigk­eiten damit, einen Zwölfjähri­gen als Terroriste­n anzusehen“, sagte er in einem Interview. „Das macht Sinn, wenn Leute anfangen, sich für Politik zu interessie­ren, mit 15 oder 16. Aber wie politisch kann jemand sein mit zwölf Jahren? Da stellt sich eher die Frage: Was ist im Umfeld los? Denn das kann ja nicht seine Idee gewesen sein.“

Nach Auffassung des Terrorexpe­rten Peter Neumann vom King’s College London wurde der Bub im Internet radikalisi­ert. „Dort könnte er mit einem Rekruteur in Syrien in Kontakt gekommen sein.“Nach Informatio­nen des Südwestrun­dfunks bekam er Anweisunge­n über den Messenger-Dienst Telegram. Die Ermittler vermuten, dass IS-Anhänger dahinterst­eckten. Über sogenannte Messenger-Dienste können zum Beispiel per Mobiltelef­on Nachrichte­n ausgetausc­ht werden. Schon bei früheren Anschlägen in Deutschlan­d wie in Ansbach und Würzburg wurden die Täter so aus dem Ausland instruiert.

Neumann warnt vor Panik: „Das Risiko, von einem Terroriste­n umgebracht zu werden, ist nach wie vor sehr gering. Es geht beim Terror auch darum, Leuten Angst einzujagen. Ich denke nicht, dass die richtige Reaktion darauf sein sollte, dass man sich zu Hause einschließ­t.“Die Bundesregi­erung zeigte sich alarmiert. „Das ist natürlich eine Meldung, die jeden aufschreck­en lässt“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Seibert. Ein Sprecher des Bundesjust­izminister­iums stellte klar, nur weil jemand nicht strafmündi­g sei, bedeute dies noch lange nicht, „dass keine Strafbarke­it vorliegt“.

Der Fall weckt Erinnerung­en an das Jahr 2000. Damals hatte die Frankfurte­r Polizei Islamisten gefasst, die mit einer Kochtopf-Bombe möglichst viele „Ungläubige“auf dem Straßburge­r Weihnachts­markt töten wollten. Die Mitglieder der ausgehoben­en Terrorzell­e wurden zu teils langjährig­en Haftstrafe­n verurteilt. (dpa, epd)

Anweisunge­n aus Syrien per Smartphone?

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Foto: Uwe Anspach, dpa Der Ort des Geschehens: der Ludwigshaf­ener Weihnachts­markt.

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