Nur noch Pizza, keine Schiffe
Industrie Das Familienunternehmen Dr. Oetker stellt sich neu auf. Die Reederei wird verkauft, jetzt konzentriert man sich auf Lebensmittel. Doch in der Familie herrscht weiter Streit
Bielefeld Die Zukunft bei Dr. Oetker kann kommen – doch unter welchen Bedingungen? Bei dem Bielefelder Unternehmen ist eine seit Jahren umstrittene Personalfrage geklärt. Mit Albert Christmann, 53, folgt zum ersten Mal ein familienfremder Manager auf einen Oetker an der Konzernspitze. Das teilte der Beirat des Unternehmens diese Woche überraschend mit. Damit lieferte das Familienunternehmen innerhalb von zwei Wochen neue Schlagzeilen. Für die ansonsten zurückhaltende Firma mit 125 Jahren Tradition eher ungewöhnlich. Denn vor der Personal-Entscheidung hatte Oetker – Deutschlands bekannter Markenanbieter für Pudding, Backpulver und Pizza – Anfang Dezember den geplanten Verkauf der Schifffahrtstochter Hamburg Süd im kommenden Jahr an einen dänischen Mitbewerber verkündet.
Sowohl die Entscheidung der Leitungsfrage als auch der Verkauf der schwächelnden Container-Schifffahrt gelten als Befreiungsschlag. Zwar fällt durch den Verkauf die Hälfte des Umsatzes von zwölf Milliarden Euro weg. Aber der Erlös, über den Stillschweigen vereinbart wurde, soll im Lebensmittelbereich investiert werden. Christmann als Oetker-Eigengewächs hat in fast allen Unternehmensbereichen Erfahrung gesammelt und war schon länger für diesen Posten im Gespräch. Ambitionen wurden aber auch Alfred und Carl-Ferdinand Oetker nachgesagt. Alfred bleibt der Posten des stellvertretenden Vorsitzenden im Beirat. Offen bleibt, ob in dem Gremium Einigkeit bei der Entscheidung für Christmann herrschte. Oetker-Sprecher Jörg Schillinger will das nicht kommentieren.
Die Entscheidung gegen das Geschäft mit Container-Schiffen und für einen familienfremden Manager an der Spitze deutet Beobachtern zufolge darauf hin, dass sich die ältere Generation in zwei entscheidenden Fragen durchgesetzt hat. Aber warum der Streit der Generationen?
Offizielle Antworten auf diese Frage gibt es nicht. Rudolf-August Oetker, der Enkel des Firmengründers, hinterließ bei seinem Tod 2007 acht Erben aus drei Ehen. Seine Kinder wurden von 1940 bis 1979 geboren. Zwischen den Halbgeschwistern liegen zum Teil fast 40 Jahre Lebenserfahrung – und somit auch erhebliche Unterschiede bei Personal- und Strategiefragen. Aus Umfeld des Konzerns heißt es, die älteren Brüder August und Richard Oetker stünden dafür, die Geschäfte immer wieder kritisch unter die Lupe zu nehmen. Nur aus Tradition etwas zu erhalten, sei nicht ihr Ansatz. Die Jüngeren im Oetker-Imperium wollen dagegen lieber das Altbewährte bewahren. Seit dem Rückzug von August Oetker aus dem operativen Geschäft 2010 gab es deshalb immer wieder Streit.
Wie der Focus berichtet, hat Au- gust Oetker, der Vorsitzende des Beirates der Oetker-Gruppe, diese Woche in der Sitzung des Kontrollgremiums auch verhindert, dass sein eigener Sohn Philip, der derzeit bei der Reederei Hamburg Süd arbeitet, in die Geschäftsführung der Gruppe einzieht. Damit habe er einen Kompromiss in dem seit Jahren andauernden Familienstreit verhindert. Dieser habe vorgesehen, die jüngere Generation in die Gesamtverantwortung des Unternehmens einzudem binden. „Ich halte sehr viel von meinem Sohn“, sagte Oetker dem Focus und dem Handelsblatt. Er sehe jedoch derzeit keine Notwendigkeit für neue Mitglieder in der KonzernLeitung. „Wenn jemand aus der nächsten Generation dort arbeiten möchte, hat er dafür Zeit genug.“Der 72-Jährige kündigte an, den Beirat bis 2019 leiten zu wollen. Anschließend werde Philip in den Beirat einziehen – was dann allerdings eine operative Tätigkeit im Unternehmen ausschließen würde. Schon sein Vater Richard August Oetker habe, so Oetker, „immer deutlich gemacht, dass niemand Anspruch auf Führung hat, nur weil er ein Oetker ist.“
Was ist von solchen Meinungsverschiedenheiten in großen Industrieunternehmen zu halten? „Konflikte um die Ausrichtung des Unternehmens bringen ein Unternehmen weiter, wenn Argumente ausgetauscht werden“, sagt Nadine Kammerlander. Sie leitet den Lehrstuhl für Familienunternehmen an der Otto Beisheim School of Management bei Koblenz. Problematisch wird es in ihren Augen, wenn sich ein Streit jahrelang hinzieht und Stammesfehden dahinterstecken. Das wurde im Fall der Reederei beinahe gefährlich für den ganzen Konzern. Mit der Bandbreite von der Pizza bis zum Container galt Dr. Oetker unter Experten bereits als Exot. „Die verschiedenen Geschäftsbereiche haben einfach viel zu wenig miteinander zu tun“, meinte der Berliner Wirtschaftswissenschaftler Georg Schreyögg Anfang Dezember zum angekündigten Verkauf der Reederei. Der Betriebswirtschafts-Professor an der Freien Universität Berlin kritisierte, dass Oetker bei der Hälfte des Umsatzes jahrelang zu viel Risiko auf eine Karte gesetzt hatte.
Ende Dezember muss Richard Oetker die Konzernleitung aufgeben. Christmann wird ihn dann beerben, auch wenn es ganz genau genommen diesen Posten offiziell nicht gibt. In der Führungsstruktur ist eine vierköpfige Gruppe für die Strategie und Ausrichtung verantwortlich. Nach offizieller Lesart hat keiner der vier eine herausgehobene Stellung und vertritt die verschiedenen Konzernbereiche. Ernsthaft hat aber in der Vergangenheit niemand bezweifelt, dass die Verantwortlichen für das Stammgeschäft Lebensmittel – also in den vergangenen Jahrzehnten August und Richard Oetker – das Sagen hatten. Das dürfte wohl auch bei Albert Christmann so sein.
Carsten Linnhoff, dpa
Es tobt ein Streit zwischen Alt und Jung