Donau Zeitung

Fötus hört mit

Literatur Wunderbar albern: Der Brite Ian McEwan erzählt den Hamlet-Stoff aus neuer Perspektiv­e

- VON STEFANIE WIRSCHING Diogenes, 288 S., 22 ¤

Darauf sollte der anständige Verbrecher ja schon achten. Dass er keine Mitwisser hat! In diesem Fall aber ist den Verbrecher­n kein Vorwurf zu machen. Wer nämlich käme schon auf die Idee, dass da im schwellend­en Mutterbauc­h ein ungeborene­s Kind sich durchs Lauschen ein erstes Bild von der Welt macht und so auch vom schändlich­en Plan erfährt.

Das Kind trägt keinen Namen. Aber an wen der Schriftste­ller Ian McEwan beim Schreiben seines Romans „Nussschale“gedacht hat, offenbart er schon im Titel. Auch der trägt nämlich bereits ein Zitat aus Shakespear­es Hamlet: „O Gott, ich könnte in eine Nussschale eingesperr­t sein und mich für einen König von unermessli­chem Gebiete halten, wenn nur meine bösen Träume nicht wären.“Ein kleiner Hamlet also wartet auf seine Geburt, und wie im Original ist auch bei McEwan die Zeit böse aus den Fugen geraten, herrscht Unfriede im Haus und daher auch ein schlechtes Bauchgefüh­l. Mutter Trudy nämlich macht es wie einst Shakespear­es Gertrude. Legt sich mit dem Bruder ihres Mannes ins Bett, schmiedet mit dem gemeine Mordpläne. Gier und nicht Liebe treibt das verruchte Paar voran: Der Ehemann ist zwar ein eher glückloser Lyriker und Verleger, sein Haus durch und durch marode, aber die Immobilie steht in bester Londoner Lage – und wäre beim Verkauf Millionen wert. Ein Erbe, das sich lohnt...

So weit zum klassische­n Stoff, den McEwan zur eloquenten Suada eines Ungeborene­n formt und damit zur kleinen eleganten Verbeugung vor dem Großdichte­r der Welt: Lässiger ist das im Shakespear­e-Jahr wohl keinem gelungen. Mit diesem Klein-Hamlet kann der DänenPrinz es jedenfalls weder an Wissen noch an Format aufnehmen. Weil die Mutter Trudy rund um die Uhr Radio und am liebsten die Wissenspod­casts des BBC hört, weiß der nämlich schon altklug ebenso über Weltpoliti­k zu plaudern wie über Madenzucht in Utah, die Erderwärmu­ng oder die Risiken durch gentechnis­ch veränderte­s Saatgut. Geradezu süchtig ist er nach dem Nachrichte­nstoff, tritt absichtlic­h seine Mutter, damit die sich nächtens ihre Dosis Wissen zuführt. „Grausam, ich weiß, aber am nächsten Morgen waren wir beide besser informiert.“Und weil die Mutter zu im Grunde jeder Tageszeit gerne das eine oder andere Glas Wein trinkt, kann der kleine Hamlet gar treffsiche­r die Sorten identifizi­eren und hat bereits eigene Vorlieben gebildet. „Wie herrlich ein durch die Plazenta dekantiert­er Burgunder schmeckt!“Was er aber auch erdulden muss, weil die Mutter nicht ohne kann: wilden Sex, zum Glück stets nur drei Minuten lang. Überhaupt, Claude, der Onkel, schmierig-gieriger Blödian – das Netteste, was dem Neffen zu ihm einfällt: „Seine Geistlosig­keit hat etwas Poetisches.“Wegen Claude muss sich der Prinz in seiner Nussschale um den Vater sorgen, aber auch um die eigene Zukunft. Was um Gottes Willen, wenn die Mutter ihn zur Adoption freigibt, er in einer Prekariats­familie aufwachsen muss: „Eine Kindheit mit Computersp­ielen statt Büchern, mit Zucker, Fett und körperlich­er Züchtigung. Keine Gutenachtg­eschichten, um meine Hirnplasti­zität zu fördern. Die neugierfre­ie Gedankenwe­lt der modernen englischen Unterschic­ht.“

Klingt das absurd? Natürlich, ist es auch im besten Sinne. Absurd, komisch, schräg, aberwitzig, aber vorgetrage­n mit solcher Sprachund Erzähllust, dass man dem frühentwic­kelten Besserwiss­erchen auch gelegentli­ches Abschweife­n verzeiht. Statt eines Dramas also eine gekonnte literarisc­he Spielerei, die Ian McEwan enden lässt, wie es kommen musste: Mit einer Geburt! Klein-Hamlet nämlich scheut zur rechten Zeit vor entschiede­nem Handeln nicht zurück – entscheide­t sich trotz gewisser Angst vorm Leben für das Sein.

Ian McEwan: Nussschale.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany