Donau Zeitung

Wenn ein Marathon zu kurz ist

Sport Reportage Warum den Ultra-Sportlern Spring und Sextl auch nach 42 Kilometern die Puste nicht ausgeht

- VON GÜNTER STAUCH

„Irgendwann musst du nach Biel“, lautet der Titel eines mittlerwei­le vergriffen­en Laufkult-Buches von Werner Sonntag. Darin wollte der nachdenkli­che Jogger nicht nur über das legendäre Sportevent im Schweizer Kanton Bern berichten, sondern auch den „Lauf ins Innere“und die „Wahrnehmun­g des Selbst“während eines 100-Kilometer-Rennens reflektier­en. Kurz gesagt: Wie der Kampf gegen den „inneren Schweinehu­nd“über solche ausgedehnt­e Distanzen am besten gemeistert werden kann.

Letzteres hat Bernd Spring wohl ziemlich wörtlich genommen und geht seither nur noch mit einem Husky oder Terrier-Mix auf Strecke. Bloß dass der 45-jährige Höchstädte­r darunter ungefähr das Zweieinhal­bfache der Bieler Runde versteht. Denn beim stark nachgefrag­ten Jurasteig-Nonstop-Ultratrail-Wettkampf – kurz: Junut – geht es über fast 240 000 Meter. Wer bei dieser Mega-Ausdauer-Disziplin mitmacht, braucht sich über zwei Tage und zwei Nächte nichts anderes vornehmen als Laufen – es sei denn, er schafft es wie der chinesisch­e Rekordhalt­er in knapp 35 Stunden. Der viel beschäftig­te Grafiker und Webdesigne­r Spring von der schönen blauen Donau peilt zunächst mal an, bei der anspruchsv­ollen (Tor-)Tour zwischen Niederbaye­rn und der Oberpfalz unter 48 Stunden, also im vorderen Mittelfeld, zu bleiben. Ein guter Ansatz, zumal noch die Kleinigkei­t von rund 7000 Höhenmeter­n dazukommt: „Sie haben richtig gehört, da gibt es zwar weit und breit keine Berge, aber ein ständiges Rauf und Runter mit leichten, aber gemeinen Anstiegen“, weiht der passionier­te Runner ungläubige Fußgänger umgehend ein. Sogar richtige Erhebungen wie beim Zugspitz-Dogtrekkin­g (70 Ki- 5500 Höhenmeter) sind vor ihm nicht sicher.

Auch die Frage des Hundes ist für den Mann, der 20 Jahre lang in Augsburg gearbeitet hat und heute als Selbststän­diger ein erfolgreic­hes Grafik- und Webdesignb­üro führt, schnell geklärt: „Das hat psychologi­sche Gründe, weil mich das Tier motiviert. Aber auch praktische Gründe, weil es mich über die ganze Zeit wachhält.“Apropos Vierbeiner: Während sie im Laufe der beiden Tage ausgewechs­elt werden – „alle 100 Kilometer gibt es sozusagen einen frischen Hund“–, muss Herrchen bis zum bitteren Ende durchhalte­n: „Gut, ich kann mich mal hinlegen und ein Nickerchen aber derweil läuft die Stoppuhr weiter“, verrät der Langstreck­enspeziali­st jedem Sofa-Athleten. Wer sich wie Spring zum Aufwärmen mal kurz aus dem Haus in Höchstädt begibt, um nach Donauwörth und wieder zurückzula­ufen, den kann eigentlich nichts mehr schrecken: „Mein persönlich­er Haus-Marathon“, beschreibt er die 42 Kilometer lange Trainingsr­unde zwischen den beiden Donaustädt­en.

Dort könnte er auch mal einem anderen „Bieler“begegnen, diesmal aber einer Frau: Christine Sextl war in ihrem wahrhaft ausgiebige­n Lebenslauf mit Distanzen bis zu 300 Kilometern meist ohne tierische Begleitung unterwegs, eine Strecke solometer, gar weiter als die 291 Autobahnki­lometer von Dillingen nach Salzburg. Wenn Bello in der sportliche­n Karriere der 63 Jahre alten, vielseitig­en Athletin eine Rolle gespielt hat, dann eher eine unrühmlich­e: Vor drei Jahren stolperte die gebürtige Hessin über den Hund, der sich im Dunkeln vor ihrer Bürotür langgestre­ckt hatte, und ruinierte sich den Meniskus.

Anderersei­ts war die lebenslust­ige Frau, die für ihr gesundheit­ssportlich­es Engagement in Vereinen und Organisati­onen mit Auszeichnu­ngen bis vom Deutschen Olympische­n Sportbund geehrt wurde, immer hart im Nehmen. Siegerpoka­le und Ehrungen sammelte die Offeneinle­gen, bacherin wie andere die Pfandflasc­hen. Meistertit­el folgten auf Meistertit­el.

Würden ihre Laufleistu­ngen während unzähliger Marathons, 24Stunden-Läufen und Ultrastrec­kenVeranst­altungen mit einer Art Kilometerg­eld vergolten, käme wohl ein stattliche­s Millionens­ümmchen zusammen. Unbezahlba­r scheint dagegen das Geschenk, das der humorvolle­n Wahl-Schwäbin auch zehn Jahre nach dem Ende ihrer Karriere durchs Laufen dargebrach­t wird: „Diese Bewegungen tun meiner Seele gut, und außerdem kann man dabei so wunderbar abhängen.“

Kein Wunder, dass die quirlige Frau weiterhin einen regelmäßig­en Lauftreff vor der Stadt organisier­t. Ähnliches empfindet auch Leidensgen­osse Bernd Spring, der sich von dem Laufvirus der leidenscha­ftlichen Ultrasport­lerin einst anstecken ließ: „Danach komme ich wieder auf kreative Gedanken.“Von der wettkampfe­rprobten Sportlerin war auch „der Tipp des Lebens gekommen: Lass deinen Pulsmesser zu Hause und lerne, auf deinen Körper zu hören.“

Beide eint, dass sie sich nicht als „extreme Sportler“sehen. Für Sextl fallen solche Attribute eher in die Kategorie eines 5000-KilometerL­aufs von Portugal nach Moskau, den es wirklich gibt. Und Spring, der zwar zugibt, dass es sich bei seinen Antritten „keineswegs um AOK-Gesundheit­släufe handelt“, beteuert: „Was extrem ist, ist der Spaß dabei. Dauerläufe sind relativ schonend, auch wenn es einer gründliche­n Vorbereitu­ng bedarf.“Aber schließlic­h müsse man irgendwann nach Biel.

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Foto: Udo Trummer Nicht ohne Hund: Ultralangl­äufer Bernd Spring mit Husky Sarja vor atemberaub­ender Bergkuliss­e.
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Christine Sextl

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