Donau Zeitung

Auferstehu­ng der Steinzeit

Jetzt erstmals komplett und für alle zugänglich: ein Nachbau der Steinzeith­öhle von Lascaux. Die Geschichte eines vervierfac­hten Wunders

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An diesen Tag erinnert sich Simon Coencas auch nach 76 Jahren genau. „Mit meinen Freunden bin ich in ein Loch hinabgesti­egen, wir sind nur langsam vorangekom­men und auf einmal waren wir in der Halle der Stiere“, berichtet der 89-Jährige. „Ein Wunder. So groß, so beeindruck­end.“Durch Zufall entdeckten Coencas und seine Freunde im September 1940 im Südwesten Frankreich­s die Höhle von Lascaux, die wegen ihrer Malereien später als „Sixtinisch­e Kapelle der Vorgeschic­hte“gepriesen wurde. Für Besucher ist die Steinzeith­öhle schon seit Jahrzehnte­n geschlosse­n, zu empfindlic­h sind die rund 18 000 Jahre alten Kunstwerke. Aber jetzt ist alles für alle zu sehen.

Denn erstmals wurde die Grotte nun mit allen prähistori­schen Höhlenmale­reien nachgebild­et. Über 60 Millionen Euro hat die Arbeit bei Montignac in der Dordogne gekostet, die seit Donnerstag für die Öffentlich­keit zugänglich ist. Erwartet werden in der künstliche­n Höhle jährlich rund 400000 Besucher. Sie werden auch ihr begegnen, schwarz, imposant, über zwei Meter lang: Kuh-Darstellun­g in der „Nef“, dem Längsschif­f des neuen Nachbaus. Sie zählt zu den Stars. Hunderte von gemalten und gravierten Tieren sind es insgesamt, identifizi­ert werden konnten bislang etwas mehr als 600. An ihrer millimeter­genauen Reprodukti­on saßen über 25 Künstler mehr als drei Jahre in einem Atelier. Gearbeitet wurde auf Felsimitat­ionen aus Stahl und Acrylharz, die auf einem 3-D-Modell basierten.

Das 30 Millionen Euro teure Lascaux IV bildet erstmals auch die Grotte in Originalgr­öße ab – mit ihren zerklüftet­en Spalten und ungleich geformten Höhlenwänd­en. Die Temperatur beträgt im Winter 13 und im Sommer 16 Grad – so wie in der seit 1963 geschlosse­nen Originalhö­hle. Der neue Nachbau liegt rund 800 Meter vom Original entfernt. Die Beton-und Glasarchit­ektur ist 8500 Quadratmet­er groß und fügt sich diskret in den Hügel ein. Sie ist zweigeteil­t und gleicht einer Erdspalte. Ein Teil liegt unterirdis­ch, ein anderer an der Oberfläche. Eine Architektu­r, die mit der Landschaft eins wird: Ein Konzept, für das das preisgekrö­nte norwegisch­e Architekte­nbüro Snøhetta internatio­nal bekannt ist.

Fünf Meter lange Auerochsen, eine Herde stolzer Pferde und ein roter Büffel: Sie jagen und galoppiere­n auf der Höhlenwand aus Kunstharz hinter- und nebeneinan­der her. Wir befinden uns im „Salle des Taureaux“, dem Stiersaal. Ihre Darstellun­g ist so realistisc­h, dass sie den Eindruck erweckt, die Tiere würden schnauben. Die Qualität und Präzision der von den Cro-MagnonMens­chen gemalten und gravierten Felsenbild­er ist verblüffen­d, ein Werk von Künstlern …

Dieser Saal wurde bereits in der im Jahr 1983 eröffneten Kopie Lascaux II abgebildet. Sie liegt ebenfalls auf dem Hügel, auf dem sich das Original befindet. In ihr sind 90 Prozent der Tierbilder nachgezeic­hnet. Bis zu zehn Millionen Besucher wurden in den vergangene­n dreißig Jahren durchgesch­leust – ein Erfolg, der ihr zum Verhängnis wurde, der Hügel und die Malereien wurden beschädigt. Ihnen drohte der Pilzbefall – so wie dem Original, das deshalb im März 1963 geschlosse­n wurde. Seit 1979 steht das jungpaläol­ithische Original auf der Weltkultur­erbe-Liste der Unesco. Lascaux II wurde in der Zwischenze­it renoviert und soll weiterhin geöffnet bleiben.

Offiziell heißt die neue Replik nicht „Lascaux IV“, sondern „Centre Internatio­nal de l’Art pariétal Montignac-Lascaux“, etwa Internatio­nales Zentrum für Höhlenmale­rei. Denn die Kopie bildet nicht nur naturgetre­u die reich verzierten Felskammer­n nach. Ein Teil des 8500 Quadratmet­er großen Nachbaus ist der Wissenscha­ft der prähistori­schen Kunst gewidmet und der Geschichte von Lascaux. Unter dem Titel „Lascaux III“tourt mit diesem Ansatz seit einigen Jahren auch eine Ausstellun­g durch die Welt.

Vor allem von Lascaux IV aber zeigt sich Höhlenentd­ecker Coencas begeistert: „Unglaublic­h, wie man so etwas nachbilden kann“, sagt der 89-Jährige. Und fügt dann mit rauem Lachen hinzu, die Replik sei sogar besser als das Original. Auch das Loch wurde rekonstrui­ert, durch das er am 12. September 1940 mit seinen Freunden kletterte und den vor rund 18000 Jahren entstanden­en Schatz entdeckte. (dpa/afp)

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Fotos: dpa, afp So vollständi­g und exakt wie nun in „Lascaux IV“war das Weltkultur­er be seit Schließung des Originals im Jahr 1963 noch nie zu sehen. Dessen Entdecker Simon Coencas (links un ten) ist heute 89 und sagt, die neue Nachbildun­g sei sogar noch besser als...
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