Der Maurer Gottes
Porträt Der 91-jährige Justo Gallego baut seit Jahrzehnten ganz alleine eine „Kathedrale“in Spanien – mit himmlischem Beistand, aber ohne Architekt
Der Mann ist ein lebendes Beispiel dafür, dass der Glaube tatsächlich Berge versetzen kann. Seit 55 Jahren hat der 91-jährige Justo Gallego fast nichts anderes getan, als vor den Toren Madrids an seinem Gotteshaus zu mauern. In der brütenden Hitze des Sommers und auch in diesen kühlen Wintertagen. „Ich mache das für meinen Glauben“, sagt der Alte. Er war als junger Mann ins Kloster eingetreten. Doch nachdem er Jahre später an Tuberkulose erkrankte, musste er den Orden verlassen, weil man seine ansteckende Krankheit fürchtete. Nachdem er geheilt war, beschloss Gallego, sich für seine Genesung zu bedanken: „Ich wollte dem Herrn einen Tempel bauen.“Das war 1961.
Inzwischen ist die „Kathedrale“, wie er sie selber nennt, zu stattlicher Größe gewachsen: gut 50 Meter lang und 20 Meter breit. Das Kirchenschiff wird von einer 22 Meter messenden blauen Kuppel gekrönt. Zwei Türme, die noch nicht fertig sind, rahmen das Eingangsportal ein. Sie sollen einmal 60 Meter hoch in den Himmel wachsen. Mehr als ein halbes Jahrhundert arbeitet Gallego an seinem Traum – und er wird angesichts seiner 91 Lebensjahre seinen Bau vermutlich nicht vollenden können.
Das Gotteshaus ist längst Wahrzeichen des 20 000-Seelen-Ortes Mejorada del Campo. Gallegos unglaubliche Geschichte zieht Touristen und Kirchenfreunde aus aller Welt an und machte die Gemeinde zum Wallfahrtsort. Sogar das New Yorker Museum of Modern Art widmete dem originellen Bau schon eine Foto-Ausstellung. „Der Besuch der Kathedrale ist kostenlos, aber wir übernehmen keine Verantwortung für mögliche Unfälle“, warnt ein Schild am Eingang. Aus gutem Grund: Justo Gallego baut sein Gotteswerk mit himmlischem Beistand, aber ohne Architekten, ohne Maurer und ohne Baugenehmigung. Und mit Materialien, die er auf Schutthalden findet oder von Baufirmen gespendet bekommt. „Es gibt keine Pläne“, sagt Gallego, der mit roter Mütze und blauem Arbeitsmantel inmitten seines Werkes steht. „Alles ist hier oben“, erzählt er und tippt sich an den Kopf. Er habe viele Bücher über Burgen und Kathedralen gelesen – das muss reichen. „Die wahren Fundamente des Tempels liegen im unverrückbaren Glauben“, heißt es in einer kleinen Dokumentation über die Kathedrale.
Streng genommen ist Justo Gallegos Meisterwerk keine Kathedrale, weil hier kein Bischof residiert. Rechtlich ist der Tempel ein illegaler Bau, den der Ex-Mönch auf einen geerbten Acker setzte, und der von der Bauaufsicht jederzeit stillgelegt werden könnte. Deswegen tut sich auch Spaniens katholische Kirche schwer, den Letzten Willen des Baumeisters anzunehmen und diesen sakralen Schwarzbau als Schenkung anzunehmen. Gallego will bis zum letzten Atemzug weiterschuften – und dann in seiner Kirche beerdigt werden. Ein Bild seines Lebenswerks finden Sie auf unserer Titelseite. Ralph Schulze