Mister Suprun stimmt nicht für Trump
USA Wie vergiftet die Atmosphäre ist, zeigt sich vor der Abstimmung der Wahlmänner, die heute offiziell den neuen Präsidenten wählen. Was ein Mann erlebt, der nur seinem Gewissen folgen will
Washington Einst war Christopher Suprun ein Held. Als einer der ersten Helfer, die am 11. September 2001 am zerstörten Pentagon in Washington ankamen, kümmerte sich der Rettungssanitäter um die Opfer des bisher schlimmsten Terroranschlags auf amerikanischem Boden. Heute ist Suprun für manche seiner Mitbürger ein Verräter. Die einzige Zukunft, die er noch zu erwarten habe, sei die am Ende eines Strangs, hieß es in einer anonymen Warnung, die ihn kürzlich erreichte. Der 42-jährige Suprun ist einer der 538 Wahlmänner, die an diesem Montag den designierten Präsidenten Donald Trump offiziell wählen sollen. Aber Suprun will nicht für Trump stimmen.
Der Schock vieler Amerikaner über Trumps Wahlsieg und die Tatsache, dass seine demokratische Rivalin Hillary Clinton am 8. November fast drei Millionen Wählerstimmen mehr erhielt als er und trotzdem die Wahl verlor, haben die etwas verstaubte Institution des Wahlmännerkollegiums ins Zentrum einer heftigen politischen Diskussion gerückt. Normalerweise ist die offizielle Präsidentenwahl durch die Wahlleute 41 Tage nach dem Wahltag eine Formalität. Doch in diesem Jahr sorgen Suprun und andere für leidenschaftliche Debatten.
Jeder Bundesstaat erhält so viele Wahlmänner, wie er Senatoren und Abgeordnete im Repräsentantenhaus in Washington hat. Kalifornien als bevölkerungsreichster Bundesstaat stellt 55 Wahlmänner, bevölkerungsarme Staaten wie Delaware oder Montana nur jeweils drei. Gewinnt ein Präsidentschaftskandidat in einem Staat mehr als 50 Prozent der Stimmen, fallen ihm alle dortigen Wahlmännerstimmen zu; nur in Nebraska und Maine gelten Sonderregelungen. Sobald ein Kandidat 270 oder mehr Wahlmännerstimmen auf sich vereinigen kann, hat er gewonnen. Ob er die Mehrheit der Amerikaner hinter sich hat oder nicht, ist unwichtig.
Warum wählen die Amerikaner ihren Präsidenten nicht einfach direkt, fragen sich jetzt viele. Einer der Gründe für die Verankerung des Wahlmännersystems in den frühen Jahren der USA war die Sklaverei, wie Akhil Reed Amar, Verfassungsrechtler in Yale, im Nachrichtenmagazin Time schrieb: Bei einer Direktwahl des Präsidenten wären die relativ bevölkerungsarmen Südstaaten damals gegen den Norden chancenlos gewesen. Das Wahlmännersystem erlaubte es ihnen, ihre mehrere hunderttausend Sklaven bei der Ermittlung der Bevölkerungszahl mitzuzählen – jeder Sklave galt als Drei-Fünftel-Mensch, durfte aber natürlich nicht wählen – und so ihr politisches Gewicht zu erhöhen. Mit dem Ergebnis, dass in 32 der ersten 36 Jahre der amerikanischen Verfassung ein weißer Sklavenbesitzer aus dem Südstaat Virginia im Weißen Haus saß, wie Amar anmerkte.
Seit Trumps Sieg am 8. November wird viel darüber diskutiert, ob dieses Verfahren im 21. Jahrhundert noch zeitgemäß ist. Kurzfristige Änderungen sind sehr unwahrscheinlich, weshalb ein bisher weitgehend unbekanntes Detail plötzlich im Mittelpunkt des Interesses steht: Die Wahlmänner sind von der Verfassung her nur an ihr Gewissen gebunden, nicht an das Wahlergebnis in ihrem jeweiligen Staat.
Das hat den inzwischen in Texas lebenden und von den dortigen Republikanern als Wahlmann auserkorenen Suprun über Nacht im ganzen Land bekannt gemacht. Obwohl Texas am 8. November an Trump fiel, will Suprun am Montag nicht für ihn stimmen. In einem Beitrag für die New York Times berief er sich auf Gründervater Alexander Hamilton, der im Wahlmännerkollegium ein Mittel sah, um unqualifizierte Präsidentschaftskandidaten zu stoppen. Er habe viel nachgedacht, schrieb Suprun. Er könne die Zukunft seiner Kinder nicht einem Mann anvertrauen, der demagogisch, unerfahren und rachsüchtig sei und zudem Geschäftsverbindungen im Ausland habe, die ihn möglicherweise erpressbar machten.
Trump hat mehr als 300 Wahlmännerstimmen, da kann er auf die von Suprun gut verzichten. Zwar betonte der Rettungssanitäter kürzlich, er wisse noch von anderen republikanischen Wahlmännern, die ähnlich handeln wollten wie er. Realistische Aussichten, Trump doch noch zu stoppen, haben diese Initiativen aber allesamt nicht. Suprun, Familienvater und Kirchgänger, sieht sich selbst als ganz normalen Bürger, der tun will, was er für richtig hält. Ganz bewusst habe er seine Entscheidung öffentlich gemacht und die Reaktionen in Kauf genommen. Mit allem kann er leben, nur wenn das Schimpfwort vom „Feigling“fällt, dann wehrt sich der Held des 11. September 2001: „Ein Feigling wäre doch jemand, der diese Bedenken hat und trotzdem den Namen ‚Donald Trump‘ auf den Wahlzettel schreibt.“
Die Verfassung garantiert Gewissensfreiheit