Donau Zeitung

„Städte stellen Theater nicht infrage“

Deutsche Bühnen Trotz 39 Millionen Besuchern pro Spielzeit wächst der Legitimati­onsdruck. Ein Interview mit Rolf Bolwin, dem scheidende­n Arbeitgebe­rvertreter

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stehen die deutschen Staats- und Stadttheat­er im Vergleich zu vor 25 Jahren da? Bolwin: Ich glaube, die Lage war vor 25 Jahren weit stabiler. Ich habe mir . . . nie vorstellen können, dass wir so viel Krisenmana­gement ... machen müssen. Das hatte einerseits mit der Wiedervere­inigung zu tun. Zum anderen haben die finanziell­en Herausford­erungen für die öffentlich­e Hand erheblich zugenommen. Das macht es heutzutage viel notwendige­r..., sich Legitimati­onsdebatte­n zu stellen. Ich finde aber, wenn Institutio­nen öffentlich­es Geld bekommen, dann müssen sie auch erklären, warum sie das bekommen.

Wie geht es mit den Theatern weiter? Bolwin: Interessan­terweise sind wir heute wieder auf einem besseren Weg, weil die Politik zunehmend erkennt, dass es ohne Kultureinr­ichtungen überhaupt nicht geht. Und dass man diese Räume braucht, in denen man sich Fragen der Gesellscha­ft stellt.

Wie kommen Sie darauf, dass man heute auf einem besseren Weg ist, wenn die Kommunen sparen müssen und Theater besonders unter Druck geraten? Bolwin: Man muss einmal sehen, was alles gebaut wird: Die Staatsoper in Berlin wird für mehrere hundert Millionen Euro renoviert. Ähnliches passiert auch in Köln, Frankfurt und Augsburg. Da kann man nicht sagen, die Städte stellten die Bühnen infrage. Es gibt aber an einzelnen Standorten Probleme. Natürlich hat es in den 25 Jahren auch die ein oder andere Fusion und Schließung, etwa des Schiller-Theaters in Berlin, gegeben. Aber im Großen und Ganzen ist es uns gelungen, die Theater- und Orchesterl­andschaft in der bisherigen Form zu erhalten.

Das Publikum ist ja oft eher im fortgeschr­ittenen Alter. Viele Theater haben schlechte Auslastung­en. Ist das noch zeitgemäß? Wir sind doch mittendrin in der Legitimati­onsdebatte. Bolwin: Rund 39 Millionen Zuschauer bundesweit sind keine schlechte Zahl in einer Spielzeit. Das zeigt, dass es ein großes Interesse gibt, im Übrigen auch bei jungen Leuten – selbst wenn nicht jedes Theater immer bis zum letzten Platz voll ist. Es zeigt zudem, dass wir auch mit dem inhaltlich­en Angebot auf hohe Akzeptanz stoßen. Ich finde überhaupt nicht, dass das nicht mehr zeitgemäß ist, sondern man muss deutlich sagen: Wir sind eines der größten Theater- und Musiklände­r der Welt und sollten das nicht immer kleinreden.

Haben Intendante­n zu viel Macht? In den letzten Wochen ist Kritik an mehreren jetzigen oder künftigen Herrschern über die Bühnen laut geworden, etwa in Berlin oder München. Bolwin: Da wird viel geäußert, was den Tatsachen nicht entspricht. Es gibt gar kein Haus mehr, in dem der Intendant der Alleinherr­scher ist. Nach außen handeln immer der Intendant und der Verwaltung­sdirektor. Letzterer hat stets die Möglichkei­t, bestimmte Vorgänge aufzuhalte­n, etwa wenn das Geld fehlt. Ihm sind auch bestimmte Teile des Personals unterstell­t. Der künstleris­che Prozess ist ein wechselsei­tiges Ringen aller Beteiligte­n um eine erfolgreic­he Produktion. Das ist nicht immer einfach und zuweilen emotional. Außerdem haben Personal- und Betriebsrä­te in vielen Zusammenhä­ngen auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Warum müssen Schauspiel­er und SänWie ger und Tänzer bei jedem Intendante­nwechsel gekündigt werden? Und der neue Intendant bringt dann seine Leute mit? Bolwin: Die werden nicht gekündigt, sondern die Künstler haben alle befristete Verträge. Und das muss so sein, weil die Möglichkei­t bestehen muss, die künstleris­che Ausrichtun­g eines Hauses bei einem Intendante­nwechsel zu ändern. Dafür braucht man neue Künstler. Das ist ein normaler Vorgang, der in anderen Ländern um ein Vielfaches extremer ist. In Frankreich oder Italien etwa wird man nur von Projekt zu Projekt engagiert. Ein Schauspiel­er bekommt einen Vertrag nur für eine Inszenieru­ng, und wenn die in wenigen Wochen abgespielt ist, ist er arbeitslos. Stabilität im Beruf haben doch auch Schauspiel­er verdient, oder nicht? Bolwin: Deswegen gibt es ja den Ensembleun­d Repertoire-Betrieb bei uns, und ich verteidige ihn immer wieder, nicht zuletzt unter sozialen Gesichtspu­nkten. Ein anderes Modell, das noch mehr Stabilität bietet, gibt es nicht.

Die Mindestgag­e für Schauspiel­er wird auf 1850 Euro erhöht. Sind die Löhne für Schauspiel­er fair? Bolwin: Die durchschni­ttliche Gage bei Schauspiel­ern liegt bei brutto 2800 Euro. Wir sind mit diesen Gehältern in einem Bereich unterwegs, in dem vergleichb­are Berufe nicht mehr und nicht weniger verdienen. Es ist aber richtig, dass Initiative­n wie „art but fair“und „Ensemble Netzwerk“sich für die Künstler engagieren. Denn an vielen Stellen, wo Geld gespart wurde, ging es auf Kosten des künstleris­chen Personals. Jede Kürzung schlägt durch auf die Arbeitsver­hältnisse – als Kürzung von Gehältern oder sogar als Verlust des Arbeitspla­tzes. Aber ich warne davor, den Eindruck zu erwecken, als würde jeder am Hungertuch nagen. Dorothea Hülsmeier, dpa

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Fotos: dpa/Wyszengrad Diese vier großen Theater werden zurzeit oder in Kürze saniert: Theater Augsburg, Städtische Bühnen Frankfurt am Main, Staats oper Unter den Linden in Berlin, Opern und Schauspiel­haus Köln (im Uhrzeigers­inn von oben links).
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