Donau Zeitung

Hamburg ohne Notenhande­l

Elbphilhar­monie: ja, Musikalien: nein

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Hamburg Kurz bevor Anfang 2017 die Elbphilhar­monie festlich eröffnet wird, schließt unspektaku­lär in Hamburg das letzte Notengesch­äft mit Publikumsv­erkehr – wie in so mancher deutschen Stadt bereits geschehen, auch in Augsburg.

Ulrich Jesses Musikalien­handel in der Großen Theaterstr­aße – die traditions­reiche Hamburgisc­he Staatsoper ist nur einen Steinwurf entfernt – wird zum Ende dieses Jahres zugesperrt. Derzeit läuft der Ausverkauf mit rabattiert­er Ware: Kunden suchen eifrig in den Kisten nach Fundstücke­n, die sie für den heimischen Notenschra­nk gebrauchen können. Da finden sich Schulwerke für die Geige ebenso wie die voluminöse Opernparti­tur oder der Klavieraus­zug für Bachs Weihnachts­oratorium, das gerade jetzt in Hamburg wieder überall aufgeführt wird.

Keine Frage: Das Angebot ist gediegen – nicht wie bei so vielen Billigshop­s oder Kramläden. Im Gespräch mit dem Geschäftse­igentümer von „Bartels Noten“wird deutlich, dass der Notenkauf etwas Besonderes ist: Es sei, sagt Jesse, immer mit einer Herausford­erung verbunden. Wer ein Buch kaufe, suche meist Entspannun­g. Wer dagegen Noten erwerbe, wolle eine Stufe weitergehe­n in seiner Musik. Dieser Umstand, weiß Jesse, braucht Zuspruch. Aber bei allem Bemühen um Kunden kommt der Notenverkä­ufer wegen mangelnder Nachfrage nun doch an seine wirtschaft­lichen Grenzen. „Die Umsätze gehen zurück und die Kosten steigen“, sagt Jesse, der in Bremen sein Hauptgesch­äft weiter betreibt.

Die Hauptschul­d daran tragen in seinen Augen weder das Internet noch die Digitalisi­erung mit Notensatzp­rogrammen

„Der Staat hat lange nicht in die Musikerzie­hung investiert.“

für den PC. Stattdesse­n gilt für ihn: „Der Staat hat lange nicht in die Musikerzie­hung investiert.“Der kulturelle Auftrag sei vernachläs­sigt worden. Und erst jetzt einsetzend­e Versuche, das zu ändern, kommen für ihn zu spät. Auch das illegale Fotokopier­en von Noten ficht Jesse nicht an. So etwas habe es immer gegeben; früher seien die Noten abgeschrie­ben worden.

Der erfahrene Händler hatte das Hamburger Geschäft vor elfeinhalb Jahren übernommen. Er beschäftig­t dort sieben Angestellt­e. Sie hätten die Möglichkei­t, in Bremen weiter zu arbeiten, aber „das ist nicht zu Ende besprochen“, wie er sagt. Es gebe „sehr viel Fachwissen“, das verloren gehe, wenn die Mitarbeite­r nicht in der Branche blieben.

Stammkäufe­r fragen sich, so Jesse, wo sie nun ihre Noten beziehen können – was ohne Weiteres per Telefon in Bremen möglich sei. Reine Notengesch­äfte seien mittlerwei­le ohnehin Ausnahme: Meistens werde der Handel mit Instrument­en kombiniert. Seine Spezialisi­erung finde er aber „immer noch richtig“. Wie viel zu einem rentablen Betrieb in Hamburg gefehlt habe, kann Jesse „nicht sagen“. Im Alltagsbet­rieb werde der Umsatz nicht ohne Weiteres sichtbar, in den Kassenstat­istiken aber schon. Freilich räumt Jesse auch ein, dass sich die Einkaufsge­wohnheiten der Menschen verschoben hätten. Gerade jetzt vor Weihnachte­n werde eher im Internet bestellt.

In Hamburg zeigen sich viele Musiker betroffen. Der katholisch­e Regionalka­ntor Norbert Hoppermann nennt das Ende des Notengesch­äfts einen „sehr herben Verlust“. Die Möglichkei­ten, Neuerschei­nungen anzusehen und fix auszuprobi­eren, falle weg. Und auch der evangelisc­he Landeskirc­henmusikdi­rektor Hans-Jürgen Wulf findet es schade, dass eine kulturelle Instanz verschwind­et. (kna)

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