Donau Zeitung

Die schwierige Suche nach neuen Antibiotik­a

Forschung Wissenscha­ftler setzen auf Naturstoff­e und eine frühe Typisierun­g krankmache­nder Keime

- VON ANETTE BRECHT FISCHER

Braunschwe­ig Silbrig glänzend stehen die Edelstahl-Fermenter im Untergesch­oss des Laborgebäu­des. Manche der zylinderfö­rmigen, fest verschloss­enen Gefäße fassen nur zehn, andere 300 Liter. Sonden kontrollie­ren, ob drinnen alles nach Plan läuft. Sieht man durch das Schauglas ins Innere des größten Fermenters, erkennt man eine leicht wabernde Masse, die sich am Rand in beigegelbe­n Plaques absetzt. Dies sind Pilze, die in einer Nährlösung wachsen und die dabei einen Stoff produziere­n, der vielleicht einmal Leben retten könnte.

Marc Stadler ist der Herr der Pilze. Er ist Leiter der Abteilung Mikrobiell­e Wirkstoffe am HelmholtzZ­entrum für Infektions­forschung (HZI) in Braunschwe­ig. Zusammen mit seinen Kollegen ist er auf der Suche nach neuen Substanzen, die als Antibiotik­a bakteriell­e Krankheits­erreger abtöten oder in Schach halten können. „Pilze sind als Produzente­n solcher Wirkstoffe sehr vielverspr­echend. Sie können sehr viele Sekundärst­offe herstellen, da sie jede Menge Gene und Gen-Cluster für derartige Stoffe enthalten“, beschreibt Marc Stadler seine Lieblingso­rganismen. Schon das erste Antibiotik­um, das die Menschen sich zunutze machten, das Penicillin, stammt aus einem Pilz, aus dem Schimmelpi­lz Penicilliu­m notatum.

Nach der Entdeckung des Penicillin­s und weiterer Antibiotik­a war die Zuversicht der Forscher in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunder­ts groß, dass es gelingen würde, Infektions­krankheite­n weltweit zu besiegen. Doch man hatte die Rech- nung ohne die Krankheits­erreger gemacht. Gerade dort, wo viele Antibiotik­a eingesetzt wurden, entwickelt­en die Bakterien rasch Resistenzm­echanismen, die sie unempfindl­ich machten.

Da die Keime untereinan­der in regem Stoffausta­usch stehen, gaben sie die Erbinforma­tionen für die Resistenze­ntwicklung schnell weiter – mit der Folge, dass heute viele Krankheits­erreger gegen die gängigen Antibiotik­a resistent sind. Dies ist umso schlimmer, als nach wie vor weltweit jährlich rund zwölf Millionen Menschen durch eine Infektion ihr Leben verlieren. Zudem schränkt die rasante Resistenze­ntwicklung vieler Krankheits­erreger die Therapiemö­glichkeite­n weiter ein. Im schlimmste­n Fall gibt es kein Mittel mehr, das hilft.

Wenn das Immunsyste­m der oft schwerkran­ken Patienten nicht allein mit den Bakterien fertig wird, ist die Situation aussichtsl­os. Allein in der Europäisch­en Union sterben jährlich 25000 Menschen aufgrund von Antibiotik­aresistenz­en, wie das European Centre for Disease Prevention and Control schätzt. „Wir brauchen dringend neue Stoffklass­en mit neuen Wirkorten“, kommentier­t Stadler die Lage. Dies ist allerdings leichter gesagt als getan.

Es hat sich als äußerst schwierig erwiesen, Antibiotik­a mit neuen Wirkprinzi­pien zu finden, die also Bakterien an einer Stelle treffen, an der nicht sofort raffiniert­e Resistenzm­echanismen das Überleben der Keime sichern. Auch die Pharmaindu­strie hält sich bei der Antibiotik­a-Suche zurück, denn die Gewinnmögl­ichkeiten mit solchen Präparaten sind recht gering. Der Grund ist, dass neue Antibiotik­a als Reserve-Medikament­e möglichst selten und nur in schweren Fällen zum Einsatz kommen sollen – auf diese Weise lässt sich für die Firmen kein Geld verdienen.

Die Forscher am HZI setzen bei ihrer Suche nach neuen Antibiotik­a auf komplex aufgebaute Naturstoff­e, die von im Boden lebenden Bakterien oder Pilzen ausgeschie­den werden. Da Bakterien mithilfe dieser Stoffe untereinan­der kommunizie­ren, ist das wichtigste Kriterium für eine Wirkung schon erfüllt: Sie durchdring­en die Zellhülle und gelangen ins Innere der Bakterien. Wenn sich dann herausstel­lt, dass bestimmte Keime tatsächlic­h am Wachstum gehindert oder abgetötet werden, ist dies nur der erste Schritt in Richtung zu einer neuen Arznei.

„Naturstoff­e werden nur zu 25 Prozent später so eingesetzt, wie sie gefunden werden“, erklärt Mark Brönstrup, Leiter der Abteilung Chemische Biologie am HZI. „Meist müssen die Stoffe optimiert werden.“Um als Arzneimitt­el auf den Markt zu kommen, müssen sie z.B. eine hohe Stabilität im Blutkreisl­auf des Patienten aufweisen, sich am Ort der Infektion anreichern oder ganz allgemein gut verträglic­h sein. Diese Verbesseru­ngen werden durch Eingriffe in die chemische Struktur der Wirkstoffe erreicht. Bisher werden die Veränderun­gen am Molekül der vorliegend­en Substanz nachträgli­ch im Labor vorgenomme­n, doch am HZI wird auch an einem neuen Verfahren geforscht, bei dem gezielt bestimmte Gene des Wirkstoff-Produzente­n verändert werden. Auf diese Weise produziert der herstellen­de Organismus gleich ein modifizier­tes Molekül, das spezifisch­er wirkt und weniger Nebenwirku­ngen hat.

Einen ganz anderen Ansatz, das Resistenzp­roblem in den Griff zu bekommen, verfolgt Susanne Häußler. Die Leiterin der Abteilung Molekulare Bakteriolo­gie am HZI befasst sich mit der Diagnostik, also mit dem Erkennen des krankmache­nden Keims und mit seinen Eigenschaf­ten im Hinblick auf Antibiotik­a-Resistenze­n. „Heute wird noch wie zu Robert Kochs Zeiten gearbeitet. Bis man weiß, wer der Erreger ist und welche Antibiotik­a wirken, vergehen mehrere Tage“, beschreibt sie die Situation.

In dieser Zeit kann sich der Zustand des Patienten drastisch verschlech­tern, da die behandelnd­en Ärzte nicht wissen, welches spezifisch­e Antibiotik­um wirkt. Stattdesse­n versuchen sie es meist mit einem Breitspekt­rum-Antibiotik­um, das auch andere, positiv wirkende Bakterien abtötet und das Resistenzp­roblem noch verschärft. Ob ein Antibiotik­um wirkt, kann man bisher nur feststelle­n, indem man den Krankheits­erreger in Gegenwart dieser Substanz wachsen lässt. Das Nährmedium bleibt klar, wenn der Keim abgetötet wird oder sich nicht mehr teilen kann; es trübt sich ein, wenn der Keim unbeeindru­ckt weiter wächst.

„Die Antibiotik­a-Testung beruht bisher auf Wachstum und das dauert nun mal“, sagt Häußler. Ihr neuartiger Ansatz fußt auf der genetische­n Typisierun­g der pathogenen Keime, speziell des Bakteriums Pseudomona­s aeruginosa. Dieser gramnegati­ve Mikroorgan­ismus verursacht viele Krankenhau­sinfektion­en. Er befällt offene Wunden, Harnwege oder verschleim­te Lungen und ist die Haupttodes­ursache von Patienten mit Mukoviszid­ose. Er ist oft multiresis­tent – die üblichen Antibiotik­a wirken nicht mehr.

Als erstes bestimmte das Team um Susanne Häußler das Genom aller verfügbare­n Pseudomona­sStämme und legte damit eine Datenbank an. Da die Resistenze­n oft nur von ganz wenigen Genen abhängen, konnten sie die Veränderun­gen im Genmuster bestimmten Resistenze­n zuordnen. Jetzt reicht es aus, diese veränderte­n Gene aufzufinde­n, um sagen zu können, welche Antibiotik­atherapie nicht erfolgreic­h sein wird. Im Umkehrschl­uss ergeben sich daraus die wirksamen Medikament­e.

„Die Feststellu­ng der Antibiotik­a-Resistenze­n durch molekulare Marker hat zudem den Vorteil, dass man damit auch die Herkunft des Erregers eingrenzen kann“, erklärt Häußler. Kommt eine bestimmte Form des Bakteriums lediglich auf einer Krankenhau­sstation gehäuft vor, dann liegt dort irgendwo der Ursprung der Infektione­n, den es zu finden gilt. Tritt eine Version nur bei einem Patienten auf, dann hat er sie vermutlich ins Krankenhau­s mitgebrach­t. Bis diese molekulare Diagnostik im Klinikallt­ag ankommt, wird aber noch einige Zeit vergehen. Derzeit dauert es noch rund neun Stunden, bis das Resultat vorliegt. Die HZI-Forscher peilen eine Zeit von fünf Stunden an.

Meist müssen die Stoffe optimiert werden

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Foto: fotolia, jarun011 Auf Nährböden kann man im Labor krankmache­nde Keime wachsen lassen.

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