Über die Geschenksuche
Selten zeigt sich der rasche Aktualitätsverlust der deutschen Dichtkunst so deutlich wie zu Weihnachten. Fast alle Gedichte, die das Fest besingen, wirken antiquarisch. Sogar der zackige Ernst Moritz Arndt reimte in milder Weihnachtsstimmung: „Des solln wir alle fröhlich sein / Und singen mit den Engelein.“Puccini überließ in seiner Oper „La Bohème“die Erzeugung der Weihnachtsstimmung einem Quartett heranwachsender Damen: „Und junge Mädchen friedlich singen / Fromm das Weihnachtslied im Chor!“Eichendorff berichtete: „Sinnend geh ich durch die Gassen, / Alles sieht so festlich aus.“
Kein Poet ahnte voraus, dass dem vorweihnachtlichen Menschen des Jahres 2016 ein ganz anderes Gedicht gewidmet werden müsste – beispielsweise die dokumentierenden Verse: „Wenn ich an den Christbaum denke, / denke ich nur an Geschenke. / Denn so kurz vorm Weihnachtsfest / ist der Mensch total gestresst.“
Statistiker sagen voraus, dass in diesem Jahr jeder Mitmensch durchschnittlich 266 Euro für Weihnachtsgeschenke ausgeben wird. Wer diese Norm einhalten will, wird durch die Geschäfte rasen und bei der Suche nach Geschenken empfinden wie Amphitruo in der Komödie des römischen Dichters Titus Maccius Plautus: „Die Straßen alle hab ich schon durchsucht, die Übungsplätze, Salbenbuden; war im Kaufhaus, auf dem Fleischmarkt, auf dem Ringplatz, am großen Markt, in allen Apotheken, Badestuben. Abgemattet bin ich ganz vom Suchen.“