Luigi Malerba – Die nackten Masken (68)
Wer als Renaissance Kardinal ein laster und lotterhaftes Leben in Rom gewöhnt war, dem konnte es nicht in den Kram passen, wenn ein neuer Papst gewählt wird, der aufräumen möchte mit allen Orgien . . . Luigi Malerba: Die nackten Masken © Verlag Klaus Wagenbach, Berlin, 288 Seiten, 13,90 Euro
Deshalb müßt Ihr den Teufel belohnen. Er verdient eine Belohnung, nicht ich.“
Der Kardinal schien beleidigt. Er verharrte eine Weile reglos wie ein Stein, dann zog er ein Säckchen mit klingenden Münzen aus einer Lade.
Der arme Diakon glaubte noch einmal einen Augenblick lang, vor dem als Kardinal verkleideten Leibhaftigen zu stehen, und hätte er einen Dolch in der Hand gehabt, dann hätte er ihn vielleicht zu gebrauchen gewußt. Der Teufel saß nicht in seinem Körper, sondern hier vor ihm, unter diesem purpurnen Gewand, hinter diesem bösen Blick.
„Hier sind dreißig Golddukaten, die du inzwischen deiner Schwester Fiorenza übergibst. Mit diesem Geld kann sie sich von einem ehrlosen Leben freikaufen. Es ist ein schönes Sümmchen, und ebensoviel bekommst du auch, wenn du nach Vollendung deiner Mission zurückkehrst.“
Dreißig Silberlinge wie Judas, dachte der Diakon. Er nahm die Tasche voll Münzen und wog sie in der Hand, als ob er ihren Wert und ihre greifbare Substanz prüfen wolle. Es war aber nur seine Verlegenheit und die Scham, den Preis für seine Schandtat in der Hand zu halten. Noch nie im Leben hatte er eine solche Summe berührt, und jetzt fühlte er, daß sein Gewissen im Begriff war, verführt zu werden, und daß seine so eng umgrenzte Sicht der Welt sich zu einem Horizont ausweitete, der gänzlich neu und voller Abenteuer für ihn war.
Das Säckchen mit Münzen hatte ihn einen Augenblick von der Verpflichtung abgelenkt, die nun, nach all den Ausweichmanövern, wie ein unausweichliches Schicksal auf seinen Schultern lastete. Sein Gewissen zuckte in einem letzten Aufbegehren.
Er entschloß sich abzulehnen, und dem Kardinal das Satansgeld – diese Besiegelung einer schändlichen Erpressung – zurückzugeben. Nie würde er dieses Geld annehmen, nie und nimmer.
„Ich danke Euch für Euer großzügiges Geschenk, Eminenz. Meine Schwester wird glücklich darüber sein, und ich wünsche mir, daß sie ihr Leben mit Hilfe dieses Geldes ändern kann.“
Seine Worte hatten einen ganz anderen Weg eingeschlagen als seine Gedanken.
„Mit diesem Geld“, sagte der Kardinal, „kann sie sich eine kleine Unterkunft kaufen, und das ist der erste Schritt zur Unabhängigkeit. Eine entsprechende Summe bekommst auch du, und kannst völlig frei und unumschränkt darüber verfügen.“
„Ich hatte noch nie in meinem Leben mit viel Geld zu tun.“
„Du wirst sehen, daß der Teufelskot nicht so übel riecht wie man sagt, und wenn du ihn mit Maß und Klugheit benützt, dann kann er dich zu ehrlichen und für dich und deinen Nächsten vorteilhaften Handlungen beflügeln.“
Der Diakon hörte nicht mehr auf die Worte des Kardinals, er verfolgte andere Gedanken, die ihn zu einem letzten verzweifelten Versuch von Flucht und Befreiung bewegten.
„Ich hoffe, Ihr gestattet mir, Euch noch einmal zu wiederholen, Eminenz, daß die Aufregung meine Hand sicherlich zittern läßt. Da ich fürchte, durch meine Aufregung zu scheitern, möchte ich im Fall eines Mißerfolgs nicht Euren Zorn auf mich ziehen.“
„Der Zorn paßt nicht zu dem Gewand das ich trage, aber ich hoffe trotzdem, daß du mir keine Gelegenheit dazu gibst. Du weißt, daß sich auch unter den feierlichen Gewändern des Papstes das abscheuliche Laster des Zorns verstecken kann.
Du wirst gehört haben, daß Papst Julius II. fluchte und bedrohlich und schrecklich wurde, wenn jemand versuchte, seine Pläne zu durchkreuzen.
Ich weiß nicht, wie ich auf ein Scheitern deinerseits reagieren würde, aber wenn ich vom Zorn gepackt werde, dann bist du der Schuldige, und ich habe einen weiteren Grund, dich zu bestrafen.“
Das war eine Drohung. Der Diakon erkannte sofort die Gefahr, die sich über seinem Kopf zusammenballte. Er biß die Zähne zusammen und sagte sich, daß es für ihn vor allem darauf ankam, nicht zu scheitern. So wie die Dinge jetzt lagen, hätte ein Irrtum oder ein Scheitern wer weiß welche grausamen Rachegelüste beim Kardinal erzeugt.
„Die nötigen Instruktionen wirst du in allen Einzelheiten vom Truchseß des Hauses bekommen“, sagte der Kardinal, wie um das Gespräch zu beenden.
Der Diakon hatte eine plötzliche Eingebung – ein Trugbild der Rettung.
„Warum schickt Ihr ihn nicht, Eminenz? Er ist es gewöhnt, mit Messern umzugehen und kann den Dolch gewiß besser handhaben als ich.“
„Der Truchseß ist ein alter Halunke, den ich vor vielen Jahren von der Straße aufgelesen habe, und auf den ich mich blind verlassen kann. Er ist ungemein erfahren in seiner Arbeit und weiß wie wenige andere mit Messern umzugehen, wenn er bei Tisch das Fleisch tranchiert, aber er ist ein primitiver Mensch mit einem schwachen Verstand, emotional und gelegentlich auch raufsüchtig, und ganz und gar unfähig, nach einem Programm zu handeln und ein Ziel zu verfolgen.
Der Truchseß wird dir die nötigen kleinen Instrumente aushändigen, er wird dir ein passendes Kostüm verschaffen und dir ein paar praktische Anweisungen geben, weiter nichts.
Dagegen wird der Kammerherr das Programm für dich machen und dir seinen Dienstwagen mit einem erfahrenen Kutscher leihen, der wiederum der Truchseß sein könnte. Und jetzt solltest du beim Kammerherrn vorbeigehen und dir von ihm die Anweisungen und die Karnevalsmaske geben lassen, die du übers Gesicht ziehen wirst, um nicht erkannt zu werden. Der Teufel zwingt dich zu handeln, aber er befaßt sich nicht mit der Verfahrensweise, da verläßt er sich ganz auf uns.“
„Soll das heißen, daß wir, statt uns des Teufels zu bedienen, uns in seine Dienste stellen? Es ist eine Schande, daß wir uns auf einen so schimpflichen Handel einlassen.“
„Wir haben Gott auf unserer Seite. Gott sieht uns und billigt unser Tun.“
„Ich hoffe, Eminenz, daß Gott zu dieser dunklen Morgenstunde noch schläft und überhaupt nichts sieht.“
„Wir wissen, daß das Böse nur durch das Böse bekämpft werden kann. Und die Gewalt durch die Gewalt.“
Der Kardinal streckte dem jungen Diakon die Hand hin, der zerstreut den Ring küßte und dann das Zimmer verließ, den bitteren Geschmack der Niederlage im Mund, und das unheimliche Echo jenes Satzes in den Ohren, den er schon mehr als einmal vom Kardinal gehört hatte: daß man das Böse nur mit dem Bösen bekämpfen kann.
Abends, als er sich in seine Kammer zurückzog, stieß der Diakon als erstes die Fenster auf, weit in die Dunkelheit hinaus, um sich an der frischen Abendluft zu erquicken.