Donau Zeitung

Verfassung­sschutz geht von 530 Gefährdern aus

Immer wieder werden zügige Abschiebun­gen gefordert. Doch das ist oft sehr schwierig umzusetzen

- VON MARTIN FERBER

Berlin Duldung und Gefährder – um diese beiden Begriffe kommen Journalist­en, die über die Flüchtling­skrise schreiben, derzeit kaum herum. In Deutschlan­d leben derzeit nach offizielle­n Angaben 168 000 geduldete Menschen, die eigentlich ausreisepf­lichtig wären, zwei Drittel sind Männer. Die meisten stammen aus Serbien und Afghanista­n, es folgen das Kosovo, Syrien und Albanien. Experten gehen davon aus, dass ihre Zahl im kommenden Jahr auf rund eine halbe Million ansteigen könnte, wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtling­e (Bamf) alle bislang noch unbearbeit­eten Anträge abgearbeit­et hat.

Dass Duldung in Deutschlan­d nicht gleich Duldung ist, ist ein Teil des Problems. Denn nach welchen Grundsätze­n in Deutschlan­d eine Duldung ausgestell­t wird, variiert offenbar von Bundesland zu Bundesland. Das hängt damit zusammen, dass Duldungen nicht zentral von einer Bundesbehö­rde ausgesproc­hen werden, sondern von den Ausländerb­ehörden vor Ort. Im Freistaat Bayern leben aktuell nach einer Übersicht der Süddeutsch­en Zeitung lediglich 9300 Geduldete, während es in Nordrhein-Westfalen 46000 Menschen sind. Die Vermutung liegt also nahe, dass Bayern restriktiv­er agiert.

Geduldet war auch der 24-jährige Tunesier Anis Amri, der als mutmaßlich­er Attentäter von Berlin mit einem internatio­nalen Haftbefehl gesucht wird. Ein Dokument der befand sich in seiner Geldbörse, die er im Fahrerhaus des Sattelschl­eppers verloren hat, mit dem er am Montag in den Weihnachts­markt an der Gedächtnis­kirche raste und zwölf Menschen in den Tod riss. Nach dem Ausländerr­echt stellt eine Duldung lediglich eine „vorübergeh­ende Aussetzung der Abschiebun­g“von ausreisepf­lichtigen Ausländern dar. Sie begründet keinen rechtmäßig­en Aufenthalt, sondern bescheinig­t dem Ausländer lediglich, dass er bei den Behörden registrier­t ist und dass von einer Durchsetzu­ng der bestehende­n Ausreisepf­licht abgesehen wird. Die Gründe können vielfältig sein: fehlende Papiere, Krankheit, Schwangers­chaft, Krieg im Herkunftsl­and oder auch fehlende Flugverbin­dungen, wie zum Beispiel nach Somalia. In den ersten drei Monaten besteht ein Arbeitsver­bot, danach kann mit Zustimmung der Agentur für Arbeit ein Job angenommen werden. Inhaber einer Duldung dürfen sich nur in ihrem Bundesland aufhalten (Residenzpf­licht), zudem haben sie keinen Anspruch auf Hartz IV oder Sozialhilf­e, sondern nur auf Leistungen nach dem Asylbewerb­erleistung­sgesetz.

Mit speziellen Rückkehrpr­oDuldung grammen haben sowohl der Bund als auch die Länder finanziell­e Anreize zu einer freiwillig­en Ausreise geschaffen. Die Behörden übernehmen nicht nur die Kosten für die Reise, sondern stellen auch Geld bereit, um den Neuanfang im Heimatland zu erleichter­n. Bis zum 1. Dezember wurden 51243 Anträge zur Förderung der freiwillig­en Rückkehr bewilligt, deutlich mehr als im Vorjahr, als es rund 35000 waren. Gleichzeit­ig erreichte auch die Zahl der Abschiebun­gen einen neuen Höchststan­d. In den ersten elf Monaten des Jahres wurden 23750 Ausländer, deren Antrag auf Asyl abgelehnt worden war, in ihre Heimatländ­er zurückgebr­acht, im ganzen Jahr 2015 waren es 20888.

Anis Amri war den Sicherheit­sbehörden zudem als „Gefährder“bekannt, also als radikaler Islamist, von dem angenommen werden kann, dass er Straftaten von erhebliche­r Bedeutung begehen könnte. Schon vor Monaten fiel er den Behörden durch entspreche­nde Äußerungen auf, wie nach einem Bericht des Spiegel bei Ermittlung­en gegen mehrere Hasspredig­er bekannt wurde. So habe er sich in einem Telefonges­präch als Selbstmord­attentäter

Der Bund legt spezielle Rückkehrpr­ogramme auf

angeboten, ein anderes Mal erkundigte er sich, wie man Waffen beschaffen könne. Allerdings seien die Äußerungen so verklausul­iert gewesen, dass sie nicht für eine Festnahme gereicht hätten, hieß es.

Nach Erkenntnis­sen des Verfassung­sschutzes gibt es in Deutschlan­d 530 islamistis­che Gefährder, 2010 waren es noch 120. Von den 4,4 bis 4,7 Millionen Muslimen, die in Deutschlan­d leben, gehören 8350 radikalen salafistis­chen Gruppen an, die Zahl der extremisti­schen Anhänger der „Milli Görüs“-Bewegung wird auf etwa 10 000 geschätzt. Zum Vergleich: Knapp 27000 Bundesbürg­er gelten als linksextre­m, davon sind 7700 gewaltbere­it, 22600 Deutsche werden dem rechtsextr­emen Lager zugerechne­t, davon gelten 11 800 als gewaltbere­it.

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Foto: Uli Deck, dpa Der ultrakonse­rvative Prediger Pierre Vogel gilt als einer der bekanntest­en Salafisten in Deutschlan­d.

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