Donau Zeitung

Weihnachte­n und die bitteren Lektionen Aleppos

Leitartike­l Die schöne Botschaft vom „Frieden auf Erden“wirkt angesichts der Realitäten so unwirklich wie lange nicht mehr. Warum nur hat der Westen weggesehen?

- VON WALTER ROLLER ro@augsburger allgemeine.de

Selten zuvor mutete die weihnachtl­iche Friedensbo­tschaft so unwirklich an wie in diesem Schreckens­jahr. Auf dem Weihnachts­markt in Berlin fallen zwölf Menschen islamistis­chem Terror zum Opfer. In Syrien liegt die von Assad mit brutaler Gewalt zurückerob­erte Großstadt Aleppo in Trümmern. Das Leid vertrieben­er, verfolgter Menschen dort nimmt kein Ende. Die Weihnachts­geschichte, die den „Frieden auf Erden“verheißt, ist das eine, die Realität das andere. Die Augen der Welt sind auf den von ausländisc­hen Mächten und einem innerislam­ischen Religionsk­ampf befeuerten Krieg in Syrien gerichtet. Aber es gibt zur Stunde mehr als 250 bewaffnete Konflikte in der Welt. Der Mensch ist eben, wie es der Philosoph Kant formuliert hat, „aus krummem Holz“geschnitzt, der moralische Fortschrit­t des Menschenge­schlechts eine Schnecke.

Gegen die Regierunge­n und Gesellscha­ften des Westens wird der Vorwurf erhoben, sie hätten dem Untergang Aleppos zugesehen und nichts getan, um den mithilfe russischer Kampfbombe­r herbeigefü­hren Sieg Assads über die Aufständis­chen zu verhindern. Ein besonnener Mann wie der evangelisc­he Bischof Huber beklagt die „Gleichgült­igkeit“im Angesicht der Kriegsverb­rechen. Ja, es stimmt: Der Westen hat weggesehen und sein Verspreche­n („Nie wieder Srebrenica“) gebrochen, im Ernstfall die Menschenre­chte zu verteidige­n. Und wie kann es sein, dass Hunderttau­sende gegen ein Handelsabk­ommen auf die Straße gehen, das Massakrier­en Zehntausen­der hingegen keinen Aufschrei auslöst? Die Angst vor einer Verschlech­terung der Beziehunge­n zu Moskau und wirtschaft­lichen Einbußen (im Fall Syrien reichte es nicht mal zu einem Sanktiönch­en) war offenbar stärker als das Mitgefühl mit den Opfern. US-Präsident Obama und die Europäer, die sich mit ihrer pazifistis­chen Gesinnung moralisch auf der sicheren Seite wähnen, haben Putin und Assad freie Hand gelassen. Wer sich darüber jetzt empört, sollte allerdings hinzufügen, dass das Gemetzel von Aleppo nur militärisc­h zu verhindern gewesen wäre. Dazu waren weder die Mächte des Westens noch deren Bevölkerun­gen bereit. Hierfür gab es, wie die gescheiter­te US-Interventi­on im Irak zeigt, gute Gründe – zumal angesichts des Risikos einer direkten Konfrontat­ion mit Russland. Doch das Entsetzen über die Gräueltate­n ist wohlfeil, solange es keine Konsequenz­en erfordert. Es gebe „keine militärisc­he Lösung“, so lautete das Mantra des Westens. Nun ja, Putin hat diese „Lösung“eiskalt gewählt. Das schwache Europa konnte, die USA wollten ihm nicht in den Arm fallen.

Die Tragödie von Aleppo hält mehrere bittere Lektionen bereit. Erstens: Wer auf nackte Gewalt setzt, gewinnt. Zweitens: Es gibt Konflikte, die mit Verhandeln nicht zu lösen sind, weil neben kalkulierb­aren Machtinter­essen auch das „Böse“im Menschen mit im Spiel ist. Drittens: Die Weltgemein­schaft ist nicht handlungsf­ähig. Despoten können ihr Volk malträtier­en, wenn eine Veto-Macht an ihrer Seite steht. Viertens: Die Unruheherd­e, die im Mittleren Osten und an der Südflanke Russlands aus den Konkursmas­sen untergegan­gener Imperien stammen, sind extrem schwer zu befrieden. Fünftens: Die Welt, die nach dem Ende des Kalten Kriegs vom „ewigen Frieden“träumte, hat noch zu keinem neuen Gleichgewi­cht gefunden.

So sind die Realitäten und deshalb ist der „Frieden auf Erden“nur ein schöner, ein unwirklich­er Traum. Sollen wir deshalb alle Hoffnung fahren lassen? Nein. Wider alle Erfahrung auf Frieden zu hoffen und im Großen wie im Kleinen danach zu streben, das bleibt – trotz allem – eine Mut machende und unverzicht­bare Botschaft.

Putin hat die militärisc­he Lösung gewählt

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