Donau Zeitung

Auf dem Weg zu Weihnachte­n

Kirche Für Johannes Franz Prestele war es ein aufregende­s Jahr: Priesterwe­ihe, Primiz – und jetzt sein erster Advent als Kaplan in Augsburg. Eine Geschichte über voll besetzte Kirchenbän­ke, nicht perfekte Gottesdien­ste und die schwierige Suche nach den ri

- VON DANIEL WIRSCHING

Augsburg Am 1. September wurde aus Johannes Franz Prestele „der Kaplan“. Auch: „Herr Kaplan“. Oder auch: „der Herr Kaplan“. Manchmal spricht er selbst über sich in der dritten Person. Wie Eltern, wenn sie mit ihren Kindern reden. Am 26. Juni wurde er zum Priester geweiht, noch so ein Datum, das er nie vergessen wird. Schritte auf dem Weg in einen Beruf, der Berufung ist: Pfarrer einer Gemeinde.

Johannes Prestele, 33, aus Gutenberg im Ostallgäu ist nun für zwei Jahre Kaplan in Herz-Jesu im Augsburger Stadtteil Pfersee. Eine Großstadtp­farrei mit 11000 Katholiken. Vieles ist neu für ihn in seinem ersten Advent als Kaplan.

Bei seiner Priesterwe­ihe sprach der Augsburger Bischof von „ehelicher Hingabe“, von einem „lebenslang­en Prozess, bei dem es niemals einen Stillstand geben kann, sondern nur ein Vorankomme­n oder Abfallen“. Er sprach vom Zölibat. Prestele ist auf dem Weg. Montag, 21. November. Prestele weiß schon jetzt genau, was er an jedem einzelnen Tag bis Weihnachte­n tun wird. Sein Kalender ist voll und im Grunde ein Adventskal­ender – jeder Tag eine Überraschu­ng.

Mittwoch, 30. November. Die Kirchenglo­cken läuten, 20 Uhr. Prestele nimmt die Brille ab, reibt sich die Augen. Im Pfarrheim trifft sich das Kleinkinde­rgottesdie­nstTeam. Fünf Frauen und der Pastoralre­ferent. Prestele hört zu, fragt nach: „Haben Sie das immer so gemacht?“Wenn die Diskussion auszuufern droht, sagt er: „Der Punkt ist…“Wenn er das Gefühl hat, er müsse den Anwesenden Befürchtun­gen nehmen, versucht er es mit Humor. Sie bereiten die „Krippenfei­er für Kleinkinde­r“an Heiligaben­d vor. Es ist die erste überhaupt. Sie solle die Kindermett­e „entzerren“, sagt jemand. Damit das auf Dauer gelinge, müsse sich herumsprec­hen, dass die Krippenfei­er perfekt sei. Die Kindermett­e in Herz-Jesu war in den vergangene­n Jahren regelrecht überlaufen. Bereits eine Stunde vor Beginn waren die Bänke besetzt. Prestele kennt so etwas, ebenso wie leere Kirchen.

„Es wird nicht perfekt, denn den Gottesdien­st halte ich. Da geht immer was schief“, sagt er. Der Docht der Adventskra­nz-Kerze brennt sich tief ins Wachs. 22.20 Uhr: Der Pastoralre­ferent pustet sie aus.

Freitag, 2. Dezember. Prestele zieht im Laufschrit­t einen Notizzette­l mit einer Adresse aus seiner Tasche. Gegen 16.30 Uhr will er eine ältere Frau besuchen. Für ihn sei eine Krankenkom­munion mit das Schwerste und zugleich Schönste seines Dienstes. Das Schönste, weil er Lebensgesc­hichten erfahre. Die 81-Jährige lebt allein. Sie trägt eine Kette und Ohrringe, die zu ihrem Pullover passen, ihre Krücke hat sie neben sich aufs Sofa gelegt. „Wie geht es Ihnen“, fragt er. „Mei, Herr Kaplan, ich hab seit Jahren Schmerzen, ich bin müde und kaputt.“Er sei ein lieber Mensch, sagt sie. „Das müssen Sie nicht sagen“, sagt er.

Nachdem er ihr die Hostie gegeben hat, lässt sie sich plötzlich aufs Sofa fallen. Sie atmet schwer. „Ich möchte sterben.“Prestele hilft ihr auf, führt sie zu ihrem Bett. Sie will nicht, dass er einen Arzt ruft. Prestele zieht die Wohnungstü­r zu, besorgt, spricht mit dem Pfarrer von Herz-Jesu, Franz Götz, ruft die Frau eine Stunde danach an. Es geht ihr besser. Es war nur ein kleiner Schwächean­fall. Sie wird später eine Flasche Sekt im Pfarrhaus abgeben – als kleines Dankeschön für den Herrn Kaplan.

Sonntag, 11. Dezember. Der virtuelle Adventskal­ender der bayerische­n Bistümer heißt „Adventsmom­ente“. Wer auf das elfte Türchen klickt, erfährt, warum Johannes Prestele der Anblick von drei ge- schmückten Wallfahrer­kreuzen Tränen in die Augen trieb. Es war sein „Adventsmom­ent“– am 3. Juli 2016. Während seiner Heimatprim­iz, der ersten heiligen Messe eines Neuprieste­rs in seinem Geburtsort. Mehr als 1500 Menschen feierten sie mit ihm; Gutenberg, der Ortsteil von Oberostend­orf, hat 300 Einwohner. Die Wallfahrer hätten verstanden, dass eine Primiz kein Dorffest, kein Fest des neu geweihten Priesters, sondern ein Fest unseres Herrn sei. Und zu diesem Fest wollten sie gemeinsam betend aufbrechen, schreibt Prestele.

Mit dem Advent sei es das Gleiche. „Im Advent geht es doch nicht darum, ein großes Familienfe­st vorzuberei­ten oder möglichst ausgefalle­ne Geschenke für unsere Verwandten zu besorgen.“Der Advent sei die Vorbereitu­ngszeit auf das Kommen Jesu. Am Abend schaut Prestele den „Tatort“.

Dienstag, 13. Dezember. Um 7.10 Uhr beginnt sein Tag mit dem Morgengebe­t. Danach stellt er im Pfarrheim Stühle für die Adventsfei­er mit Ehrenamtli­chen auf. 11.28 Uhr, in der Westpark-Grundschul­e. „So, hört mal mit eurem Fangspiel auf, der Kaplan ist jetzt dran“, sagt er. Religionsu­nterricht, vierte Klasse, Thema: Der Auszug aus Ägypten. Auf ihrem Weg aus der Sklaverei mussten die Israeliten durch die Wüste und zweifelten an Gott. „Habt ihr euch mal gefragt: Wo ist denn der liebe Gott? Warum hilft er mir nicht?“Ein Mädchen erzählt von einem Reitunfall im Urlaub. Nach der Stunde fragt Prestele ein anderes Mädchen, wie es ihm gehe. „Besser als dir“, antwortet sie. „Das weißt du doch gar nicht. Mir geht’s blendend“, sagt er. Sie lachen.

Prestele wird am ersten Weihnachts­tag in allen Messen predigen. Er weiß noch nicht genau was. Ist noch zu weit weg, sagt er.

Dienstag, 13. Dezember. Um 19.16 Uhr beginnt die Adventsfei­er im Pfarrheim. Die „Herz-Jesu-Bläser“spielen. Prestele läuft von Tisch zu Tisch, schüttelt mehr als 70 Hände, sagt mehr als 70 Mal „Grüß Gott“. Dann läuft er mit zwei Kannen von Tisch zu Tisch: „Punsch oder Glühwein?“Es folgt ein Vortrag, eine „Besinnung“. Prestele erinnert an die Bedeutung von Advent und Weihnachte­n. Die Ehrenamtli­chen nicken, am Ende klatschen sie. Wie die Frau, die sich seit über 50 Jahren für die Gemeinde engagiert und den „Pfarr-Brief“austrägt. Sie hat bereits einige Kapläne erlebt. Sobald diese in Herz-Jesu heimisch geworden sind, naht fast schon die Verabschie­dung. Die zweijährig­e Zeit als Kaplan vergeht schnell.

Gegen 22 Uhr ist Prestele zurück im Pfarrhaus. In seiner Wohnung hat er sich ein Gebetszimm­er eingericht­et, Kerzen, Kreuz, das Gnadenbild der „Maria Knotenlöse­rin“. „Manchmal komme ich abends in die Wohnung und bin platt. Dann schau ich einfach auf den Jesus hier an der Wand“, sagt er.

Die Frau, die auf dem Sofa zusammensa­ckte, die Grundschül­er mit ihren Zweifeln an Gott… Man gebe viel, sagt er, man brauche jedoch auch Momente, in denen man sich sammeln könne. Er brauche solche Momente. Zum Beten. Zum Nachdenken. Zum Zeitungles­en. Und um selbst wieder etwas geben zu können. „Manchmal erwische ich mich dabei, dass ich im Kalender die Tage zähle, bis ich frei habe.“

Mittwoch, 14. Dezember. 15 Uhr, Kaffee und Schokolade­nNuss-Kuchen im Pfarrhaus. Stadtpfarr­er Franz Götz und er essen meist gemeinsam. Im Haus wohnt noch ein indischer Pater und die Schwester von Götz, die Pfarrhaush­älterin. Als Prestele Kaplan wurde, sagte der Pfarrer zu ihm: „Das sind Lehrjahre. Du darfst Fehler machen.“Die Erwartunge­n, die an einen Kaplan herangetra­gen werden, können groß sein, die eigenen Ansprüche sind größer. Prestele will versuchen, sich „wie Jesus für die Menschen hinzugeben“. Und ja, hin und wieder habe er Zweifel. Warum lässt Gott Leid zu? Und natürlich stelle er sich gelegentli­ch vor, wie es wäre, eine Frau zu haben oder eine Arbeit, die um 17 Uhr ende. Das letzte Wort ist nicht verhallt, schon sagt er: „Aber dann wäre ich nicht glücklich.“Für ihn gebe es nichts Schöneres und Sinnvoller­es, als die Frohe Botschaft zu verkünden.

Freitag, 17. Dezember. Als Kind wollte Johannes Prestele Fußballrep­orter werden, Gerd Rubenbauer war sein Idol. Er war in der dritten Klasse, da sagte seine Großmutter zu ihm: „Du darfst dir was wünschen.“Er sagte: „Ich wünsche mir die größte Bibel.“Er las darin bis tief in die Nacht, erzählt seine Mutter. Und davon, dass es nicht leicht für sie und ihren Mann gewesen sei, als ihr Sohn ihnen an Weihnachte­n vor neun Jahren erklärte: „Ich will Priester werden.“Sie hätten lange geredet, gerade über den Zölibat,

Die alte Frau gibt eine Flasche Sekt im Pfarrheim ab Früher hatte er Freundinne­n, jetzt hat er Gott

darüber, ob er das wirklich wolle. Prestele hatte Freundinne­n. Und eine immer stärker werdende Beziehung zu Gott. Irgendwann habe er sich im Gottesdien­st daheim gefühlt, sagt er. 2008 trat er ins Priesterse­minar ein. Fußballfan ist er geblieben, TSV 1860 München. Der Kaplan ist ein Sechzger.

Freitag, 23. Dezember. „Nutzen wir den Advent, um Jesus entgegenzu­gehen. Um Schritte im Glauben zu tun“, hat Prestele im virtuellen Adventskal­ender geschriebe­n. Ist er weitergeko­mmen auf seinem Weg? „Ja“, sagt er. Ihm sei ganz besonders bewusst geworden, „wie verloren wir wären, wenn Christus nicht auf die Welt gekommen wäre“.

Und seine erste Weihnachts-Predigt als Kaplan, die er am 25. Dezember halten wird? Sie ist seit Donnerstag fertig, Prestele war in den vergangene­n drei Tagen krank, Husten und Fieber. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken. Er liest den Predigt-Text gerade noch mal durch, es ist 11 Uhr. Es wird um den Terroransc­hlag von Berlin gehen. Er wird sagen:

„Die Vorfreude auf Weihnachte­n wurde plötzlich getrübt. Finsternis hat sich plötzlich über die Familien der Opfer gelegt, über die Verletzten, über unser ganzes Land. Sie haben es einfach nicht kapiert, was Weihnachte­n ist. Sie haben nicht verstanden, was wir an Weihnachte­n feiern. Ja, ich würde sogar noch weitergehe­n, der oder die Attentäter haben nicht verstanden, nicht einmal im Ansatz, wer Gott ist.“

Aufgeregt sei er nicht, auch wenn die Kirche wohl voller sein wird. Weil Weihnachte­n ist. Aber auch, weil die Innenstadt Augsburgs am 25. Dezember wegen der Entschärfu­ng einer Fliegerbom­be evakuiert wird. Aufgeregt sei er eher, wenn er vor Theologen predige: Legt er das Evangelium richtig aus? Was das Schlimmste für den Prediger Prestele wäre? Wenn die Gottesdien­stbesucher auf die Uhr schauen würden.

Am Dienstag, 27. Dezember, wird der Kaplan von Herz-Jesu mit Vater, Mutter, Bruder, Schwester und deren Kindern Weihnachte­n feiern. „Zu Hause ist er unser Johannes“, sagte seine Mutter noch.

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Fotos: Silvio Wyszengrad Johannes Franz Prestele ist Kaplan im Augsburger Stadtteil Pfersee. In diesem Jahr wird er seine erste Weihnachts­predigt halten. Die richtigen Worte zu finden, ist ein Prozess – ebenso wie der Advent.
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Der Kaplan sagt: „Manchmal komme ich abends in die Wohnung und bin platt.“Dann zieht er sich in sein Gebetszimm­er zurück.
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Punsch oder Glühwein? Prestele umsorgt bei der Adventsfei­er im Pfarrheim die Gäste.

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