Augsburgs Innenstadt wird zur Gefahrenzone
Bombenfund 54 000 Bewohner müssen ihre Wohnungen verlassen. Die Hilfsbereitschaft ist groß
Augsburg In Polen wird an Weihnachten ein Platz an der Festtafel freigehalten. Er soll zum einen an verstorbene Mitglieder der Familie erinnern, zum anderen soll er Platz für einen Überraschungsgast bieten – egal, ob es sich dabei um eine bekannte oder fremde Person handelt. Auch in Augsburg werden an diesem Weihnachtsfest viele Haustüren für Freunde, Familie, aber auch Fremde geöffnet. Denn rund 54 000 Bürger müssen nach einem Bombenfund die Innenstadt am ersten Weihnachtsfeiertag verlassen, weil sie innerhalb der Schutzzone wohnen.
Ulrike Fritzsche, 36, hat für Sonntag bereits spontan eine Arbeitskollegin zum Frühstück eingeladen. Bei der städtischen Facebook-Aktion „Willkommen im Warmen“hat sie gemeldet, dass sie noch zwei bis drei Personen aufnehmen könnte. Auf vielen Online-Plattformen finden Menschen, die nicht wissen, wohin sie am ersten Weihnachtsfeiertag gehen sollen, herzliche Angebote. „Bevor jemand in eine Turnhalle gehen muss, soll er zu mir kommen“, so Fritzsche.
Auch Nico Kremer, 21, will seine Tür für Fremde öffnen. „Ich wohne in einer kleinen Studentenbude. Deshalb würden sich wahrscheinlich Studenten am wohlsten bei mir fühlen“, sagt er. Bislang hat sich noch niemand auf sein sympathisches Angebot gemeldet: „Ich kann ein warmes Wohnzimmer mit Kinoleinwand und gekühltes Bier oder warmen Glühwein anbieten. Wenn ich auf der Familienfeier noch ein paar Plätzchen abstauben kann, können sich alle gerne an diesen satt essen.“Kremer will sogar extra früher von seinen Großeltern nach Hause fahren, damit er evakuierte Augsburger aufnehmen kann. Von seiner Wohnung aus können die Besucher übrigens in die Schutzzone blicken.
Anna Mess, 24, wird über die Feiertage eine Katze bei sich aufnehmen. Sie habe nur eine kleine Wohnung und könne aber immerhin ein Tier aufnehmen, schrieb sie bei Facebook und erhielt sofort eine Nachricht von einer Augsburgerin. „Sie muss ihre Wohnung verlassen und kommt bei einem Bekannten in Mering unter. Doch die Katze kann sie nicht mitnehmen“, erzählt Mess, die sich freut, etwas Gutes tun zu können. Und es hat auch für sie Vorteile: „Ich bin mit Katzen aufgewachsen und freue mich sehr auf meinen Weihnachtsgast. Selber könnte ich keine halten, weil meine Wohnung dafür zu klein ist.“
Elisabeth Adolf wird den Weihnachtsfeiertag ebenfalls nicht in ihren eigenen vier Wänden verbringen. Sie müsste ihre Wohnung zwar nicht räumen, kümmert sich aber um Menschen, die es nicht so gut haben. Adolf betreibt das Schul-Bistro in den Maria-Stern-Schulen. Die Schulen laden um 7.30 Uhr und um 10.30 Uhr zu Eucharistiefeiern ein. Im Anschluss an den zweiten Gottesdienst wird in der Schulkantine für kostenlose Verpflegung gesorgt. „Ich habe nicht gezögert, als ich gefragt wurde. Mein Personal hat frei. Ich werde aber von den Lehrern unterstützt“, sagt sie. Es gibt Kartoffelsuppe mit Wursteinlage und Zeit für schöne Begegnungen. Eine besondere Überraschung hat Georg Brandl für seine Mieter parat: Der Geschäftsführer der Delta Wohnbau GmbH lädt sie am ersten Weihnachtsfeiertag auf Schloss Pichl in Aindling ein. Ihm gehört die Immobilie im Wittelsbacher Land. „Erst wollte ich mein Altstadthotel in der Kapuzinergasse zur Verfügung stellen. Das steht jetzt leer, weil Betriebsurlaub ist. Aber es befindet sich auch in der Schutzzone.“Deshalb geht es in den angrenzenden Landkreis. Hier können die Mieter einen stimmungsvollen Tag verbringen. „Allerdings haben nun schon die meisten etwas vor. Wenn ich aber noch einen rüstigen Rentner mit dem Shuttle abholen soll, dann mache ich das auch“, sagt Brandl. Hilfsbereitschaft ist für ihn eine Selbstverständlichkeit.
Auch die Oberstdorfer und Kleinwalsertaler Skigebiete zeigen Herz: Sie bieten Augsburgern vergünstigte Skipässe an. Der Skywalk Allgäu Naturerlebnispark, ein gemeinnütziges Unternehmen der Katholischen Jugendfürsorge Augsburg, hat ebenfalls ein Geschenk: Augsburger müssen am ersten Weihnachtsfeiertag keinen Eintritt zahlen.