Handlungsbedarf
Wann hat zuletzt jemand einen dringenden Untätigkeitsbedarf erkannt und angemahnt? Einen Stillhaltebedarf festgestellt, zum Nichtstun aufgefordert, einen Nichtbedarf erblickt? Wie vielstimmig nimmt sich dagegen der Chor derer aus, die unablässig „Handlungsbedarf“sehen! Und zwar: dringenden! Das Bestehen von Handlungsbedarf zu konstatieren, ist in unserer Gesellschaft ein starkes Bedürfnis. Es gilt dabei eine strenge Aufgabenteilung. Jene, die Handlungsbedarf feststellen, fühlen sich fürs Handeln in der Regel nicht zuständig. Sie verstehen sich als Mahner, als Aufrufer, als kundige Beobachter, die auf dem bestehen, was besteht: Handlungsbedarf. Weil meist vieles gleichzeitig angepackt werden müsste, was schon viel zu lange liegen geblieben ist, geht es nicht selten sogar um Handlungsbedarfe.
Adressaten des ausgemachten Handlungsbedarfs und der Handlungsbedarfe sind immer andere. Meistens die üblichen Verdächtigen. Gerne „die Politik“, oder „die Verantwortlichen“, „die Sicherheitsbehörden“, „die EU“oder „die staatlichen Stellen“– also ganz allgemein Handlungsbevollmächtigte und potenzielle Bedarfsdecker, deren Untätigkeit aus Sicht der Bedarfsermittler nicht länger hinnehmbar ist. Bedarfslücken sind nicht dafür da zu klaffen. Sie gehören gestopft mit Aktionismus. Handlungsbedarf kann überall bestehen – im Bedarfsfall auch bei Bedarfsträgern.
Der Handlungsbedarf ist ein Allzweckreflex. Als verbaler Fingerzeig ist er beliebt, weil dabei Bestehen wichtiger ist als Verstehen. Wie gehandelt werden soll, auch darüber ist keine Rechenschaft erforderlich. Es genügt, dass gehandelt werden soll in aller Dringlichkeit.
Nicht nur an Weihnachten besteht aus unserer Sicht in Sachen Zurückhaltung, Selbstkritik, Demut und Besinnlichkeit dringender Handlungsbedarf, der hiermit angemahnt sei.