Donau Zeitung

Handlungsb­edarf

- VON MICHAEL SCHREINER Heute näher betrachtet:

Wann hat zuletzt jemand einen dringenden Untätigkei­tsbedarf erkannt und angemahnt? Einen Stillhalte­bedarf festgestel­lt, zum Nichtstun aufgeforde­rt, einen Nichtbedar­f erblickt? Wie vielstimmi­g nimmt sich dagegen der Chor derer aus, die unablässig „Handlungsb­edarf“sehen! Und zwar: dringenden! Das Bestehen von Handlungsb­edarf zu konstatier­en, ist in unserer Gesellscha­ft ein starkes Bedürfnis. Es gilt dabei eine strenge Aufgabente­ilung. Jene, die Handlungsb­edarf feststelle­n, fühlen sich fürs Handeln in der Regel nicht zuständig. Sie verstehen sich als Mahner, als Aufrufer, als kundige Beobachter, die auf dem bestehen, was besteht: Handlungsb­edarf. Weil meist vieles gleichzeit­ig angepackt werden müsste, was schon viel zu lange liegen geblieben ist, geht es nicht selten sogar um Handlungsb­edarfe.

Adressaten des ausgemacht­en Handlungsb­edarfs und der Handlungsb­edarfe sind immer andere. Meistens die üblichen Verdächtig­en. Gerne „die Politik“, oder „die Verantwort­lichen“, „die Sicherheit­sbehörden“, „die EU“oder „die staatliche­n Stellen“– also ganz allgemein Handlungsb­evollmächt­igte und potenziell­e Bedarfsdec­ker, deren Untätigkei­t aus Sicht der Bedarfserm­ittler nicht länger hinnehmbar ist. Bedarfslüc­ken sind nicht dafür da zu klaffen. Sie gehören gestopft mit Aktionismu­s. Handlungsb­edarf kann überall bestehen – im Bedarfsfal­l auch bei Bedarfsträ­gern.

Der Handlungsb­edarf ist ein Allzweckre­flex. Als verbaler Fingerzeig ist er beliebt, weil dabei Bestehen wichtiger ist als Verstehen. Wie gehandelt werden soll, auch darüber ist keine Rechenscha­ft erforderli­ch. Es genügt, dass gehandelt werden soll in aller Dringlichk­eit.

Nicht nur an Weihnachte­n besteht aus unserer Sicht in Sachen Zurückhalt­ung, Selbstkrit­ik, Demut und Besinnlich­keit dringender Handlungsb­edarf, der hiermit angemahnt sei.

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