Was bewegt den Walzerkönig?
Er ist der erfolgreichste Geiger der Welt – aber auch schon mal Bankrott gegangen. André Rieu über Perfektion, schöne Frauen und das Glück
Herr Rieu, Sie sind ständig unterwegs, bis am Tag vor Heiligabend. Stationen sind Amerika, Australien, Neuseeland, Irland und England. Wie bereiten Sie sich auf solche Reisen vor? André Rieu: Wir wechseln immer zwischen Tourneen und Ruhephasen. In meinem Orchester spielen viele junge Leute mit kleinen Kindern und ich sorge dafür, dass wir im Allgemeinen nie länger als zwei Wochen am Stück unterwegs sind. Nur bei Australien und Neuseeland sind es drei Wochen. Ich bin kein Künstler, der einen Hit hat und damit vier Monate um die Welt reist. Und wenn er dann nach Hause kommt, ist sein Ruhm schon wieder vergangen. Ich reise immer. Das ist mein Leben seit nunmehr 20 Jahren. Und zwar sehr diszipliniert.
In der „Ruhephase“arbeiten Sie an neuen Platten? Rieu: Ja genau. Viele glauben, dass das Reisen unglaublich anstrengend ist, aber in Wirklichkeit ist es umgekehrt. Auf Reisen ist Ferien, da ist alles geregelt. Ich brauche nur noch auf die Bühne zu springen und schöne Musik zu spielen. Und in der Zeit zu Hause muss geregelt werden, dass ich nächstes und übernächstes Jahr auch noch was zu spielen habe. Und neue Platten, neue DVDs müssen gemacht werden. Für uns arbeiten ungefähr 110 Festangestellte und noch einmal 100 Freelancer. Das sind eine ganze Menge Leute, die jeden Monat ihr Honorar bekommen. Das muss ich alles erspielen.
Können Sie mit dieser Verantwortung noch ruhig schlafen? Rieu: Ich habe einen sonnigen Charakter. Meine Frau und ich versuchen immer, Probleme zu lösen, schon bevor sie entstehen. Okay, ich habe mich mal vertan, mit dem Nachbau von Schloss Schönbrunn. Mit den Kopien bin ich um die Welt gereist, aber das war dann wirklich zuviel und ich bin pleitegegangen. Nur die Bank hat mich gerettet. Natürlich spüre ich eine Verantwortung, aber sie ist keine Last, so dass ich nicht mehr schlafen kann. Ich schlafe überall gut.
Sind Ihre Visionen immer noch so groß? Rieu: Ich habe viel aus dem Bankrott gelernt und bin jetzt ruhiger geworden. Manche Vision ist in irgendeiner Schublade gelandet. Ich bin stolz auf das, was wir schon erreicht haben. Vorige Woche begann der Vorverkauf für unsere Maastricht-Kon- zerte in 2017, drei davon waren an einem Tag ausverkauft. Unser Ziel ist, die Menschen mit Musik glücklich zu machen.
Müssen Sie eigentlich noch viel üben? Rieu: Natürlich übe ich noch, aber meine Stradivari packe ich zu Hause immer seltener aus. Ich bin zwar Geiger, aber bei unseren Tourneen mehr und mehr Dirigent. Ich habe 60 Musiker vor mir, manchmal sechs Solisten gleichzeitig. Das finde ich auch ganz schön so.
Sie gelten als Perfektionist. Setzen Sie sich dadurch nicht unnötig unter Druck? Rieu: Das sagt man über alle Perfektionisten. Ich kann aber nicht anders. Jedes Mal, wenn ich auf die Bühne gehe oder ein neues Arrangement schreibe, bemühe ich mich, das so zu tun, bis ich zufrieden bin. Genau das macht den Spaß aus.
Sind Ihnen in der Schule die guten Noten zugeflogen? Rieu: Nein, absolut nicht. Ich habe ein Versetzungszeugnis aus meiner Grundschulzeit wiedergefunden. Darauf hatte mein Lehrer geschrieben: „André ist ein netter Junge mit einem großen Herz, aber viel Talent besitzt er nicht.“So hat man anfangs über mich gedacht. Auch meine Eltern haben lange nicht an mich geglaubt. Alles änderte sich ab dem Moment, wo ich meiner Frau Marjorie begegnete. Sie hat sofort an mich geglaubt. Auf einmal fing ich an, mich zu öffnen und meine Träume zu verwirklichen.
Waren Sie als Jugendlicher aufsässig gegenüber Ihren Eltern? Rieu: Nein, gar nicht. Das war bei uns zuhause nicht gestattet. Die Rolling Stones und die Beatles sind an uns vorbeigegangen. Es gab nur klassische Musik, denn mein Vater war Dirigent. Außerdem war er mehr Vater Abt als Vater. Ich war ein ganz braver Junge, der von schönen Frauen träumte. Das tue ich eigentlich noch immer. (lacht)
Muss man perfekt sein, um erfolgreich zu werden? Rieu: Perfektion gehört schon dazu, ja. Und immer wieder von null anfangen. Jeden Abend bin ich furchtbar nervös, bevor ich auf die Bühne gehe. Ich muss mich immer wieder neu beweisen. Es ist ja nicht so, dass wir mit dem Orchester auf halbe Kraft gehen. Nein, es muss immer voll da sein. Dann ist die Belohnung nachher umso größer. Wir gehen überall hin, die Menschen sind eigentlich überall gleich auf dieser kleinen Erdkugel. Sie sind alle warmherzig und wollen glücklich sein.
Versuchen Sie, immer mit der Zeit zu gehen? Würden Sie sich jemals ein Tattoo stechen lassen?
Rieu: Nein, nein, ich will kein Tattoo, ich bin ein altmodischer Mensch. Ich gefalle mir so, wie ich bin. Aber wir leben in einer freien Welt, lasst die Leute das machen, wenn es ihnen Spaß bereitet. In Amerika werden gute Geschäfte gemacht mit dem Entfernen von Tattoos. Meine Söhne haben auch keine. Das Schlimmste, was mein Jüngster je gemacht hat, war sich seine Haare zu färben. Ich weiß noch, wie er als 14-Jähriger einmal die Treppe runterkam mit Haaren so weiß wie Papier. Da waren wir ein bisschen geschockt. Aber gut, er war in der Pubertät. Nach zwei Jahren hatte er plötzlich wieder seine normale Haarfarbe und wir dachten: „Ach, schade. Es sah doch eigentlich ganz schön aus!“
Was bedeutet es, altmodisch zu sein?
Rieu: Manchmal denke ich, ich bin eine Reinkarnation von Johann Strauss, weil ich so gerne seine Walzer spiele, haha. Eigentlich glaube ich nicht an Wiedergeburt, aber Strauss war schon ein Genie, das fantastische Musik komponiert hat. Gleichzeitig lebe ich unheimlich gern in der Gegenwart und bin sehr neugierig, was wir Menschen von unserer Erde übrig lassen und wie wir unsere Probleme lösen. In Melbourne werde ich die Gerontologin Professor Andrea Maier treffen. Sie behauptet, der Mensch könne viel älter werden, als es gegenwärtig der Fall ist. Aber man muss dafür etwas tun, zum Beispiel Krafttraining. Das mache ich auch, jeden Tag. Wenn Professor Maier ein Verjüngungsmittel hätte, würde ich es mir sofort spritzen lassen. (lacht)
Was macht die Musik mit uns?
Rieu: Ich bin Musiker und kein Gehirnforscher, aber es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Babys besser wachsen und glücklicher sind, wenn sie längere Zeit Mozart hören. Ich selbst sehe jeden Abend in glückliche Gesichter. Vielleicht ist das ein Klischee, aber es gibt Fälle, dass Leute aus ihrem Rollstuhl aufstehen und einfach mittanzen. Musik spendet unglaublich viel Energie. So ist das.