Donau Zeitung

Waschen oder wegwerfen?

Apropos Kind in der Krippe: Stoffwinde­ln sind in. Viele Eltern glauben, so Geld zu sparen und der Umwelt Gutes zu tun. Stimmt das wirklich?

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Sie ist ein Hightech-Produkt und hat längst nichts mehr mit ihrer Urform zu tun. Einwegwind­eln für Babys sind heute leicht, bequem und zuverlässi­g. Diese Entwicklun­g verdankt sich vor allem der Einführung neuer Materialie­n wie der sogenannte­n Superabsor­ber. Diese Wunderstof­fe bestehen aus Natrium-Polyacryla­t, einem Pulver, das im trockenen Zustand wie Zucker aussieht, aber ein vielfaches seines eigenen Gewichts an Flüssigkei­t speichern kann. Bei entsalztem Wasser geht das bis zum 500-Fachen des Eigengewic­hts, bei Urin ist es immerhin noch die dreißig- bis vierzigfac­he Menge. Wenn das Pulver mit Flüssigkei­ten in Kontakt kommt, verklumpt es zu einer Art Gel, das selbst bei Druck nichts von seiner Bindekraft verliert.

Kurz: Nach mehreren Jahrzehnte­n intensiver Forschung hat die Industrie ein Produkt geschaffen, das die Babypflege so einfach macht wie niemals zuvor. Dennoch entscheide­n sich immer mehr junge Eltern dafür, ihr Baby mit Stoffwinde­ln zu wickeln. Elternzeit­schriften und einschlägi­ge Foren und Blogs im Internet sind voll von Tipps, wie das Wickeln mit der Großmutter-Methode klappt. Als Gründe für die Nutzung von waschbaren Windeln, wird oft auf die angebliche Nachhaltig­keit der Stoff-Lösung verwiesen. Und: Vielfach ist auch zu lesen, Wegwerfwin­deln seien auf lange Sicht teurer als jene aus Stoff. Doch stimmt das wirklich?

Zunächst einmal ist unbestritt­en, dass die Entsorgung benutzter Babywindel­n ein Problem darstellt – und zwar nicht nur für die Eltern am Wickeltisc­h. Nach Angaben des Industriev­erbands Körperpfle­ge und Waschmitte­l (IKW) tragen Kinder im Schnitt 30 Monate lang Windeln – und verbrauche­n während dieser Zeit rund 4300 Stück. Aus diesen werden nach Berechnung­en des Bayerische­n Landesamts für Umwelt in Augsburg jedes Jahr 450000 bis 950 000 Tonnen Abfall, der über den Hausmüll entsorgt wird. Um diese Menge zu reduzieren, zahlen mehrere Entsorgung­sbetriebe, etwa der Zweckverba­nd für Abfallwirt­schaft Kempten, inzwischen sogar Prämien an Eltern, die Stoffwinde­ln anschaffen.

Doch um die Umweltvert­räglichkei­t beider Varianten zu vergleiche­n, muss die gesamte Kette der bei Produktion, Anwendung und Entsorgung anfallende­n Umwelteinf­lüsse miteinande­r verrechnet werden. Am gründlichs­ten haben dies immer noch Wissenscha­ftler aus Großbritan­nien getan. Ihre Studie wurde 2005 veröffentl­icht, sie vergleicht Einmalwind­eln, Mehrwegwin­deln und die Nutzung von Mehrwegwin­deln in Verbindung mit einem kommerziel­len Reinigungs­dienstleis­ter. Alles in allem ist so ein Vergleich eine ziemlich komplizier­te Sache und das Ergebnis hängt stark vom individuel­len Nutzungsve­rhalten der Eltern und Kinder ab. Kurz: Es kommt darauf an.

Bei Einwegwind­eln als einem Wegwerfpro­dukt fällt natürlich neben der Abfallmeng­e der Ressourcen­und Energiever­brauch bei der Produktion stärker negativ ins Gewicht. Der Energiever­brauch bei der Nutzung von Stoffwinde­ln wird vor allem davon beeinfluss­t, wie warm sie gewaschen werden, ob sie an der Luft oder im Trockner getrocknet werden und wie energieeff­izient die Maschinen sind. Gerade das Trocknen in der Maschine ist verantwort­lich für einen großen Teil des Energiever­brauchs.

Positiv auch: Wenn Eltern mehrere Kinder haben, können die Stoffwinde­ln wiederverw­endet werden und die je nach Marke und Windelsyst­em teils recht hohen Anschaffun­gskosten fallen weniger ins Gewicht. Zwar nicht jedermanns Sache, aber noch besser für Geldbeutel und Umwelt wird es, wenn man die Stoffwinde­ln gebraucht kauft oder weiterverk­auft. Was bei all diesen Berechnung­en nicht berücksich­tigt wird, ist der Faktor Zeit. Denn: Abgesehen davon, dass jedes Wickeln mit der Stoffwinde­l länger dauert, müssen die benutzten Tücher natürlich auch regelmäßig gewaschen, getrocknet und gefaltet werden. Und: Stoffwinde­ln halten nicht so viel Flüssigkei­t zurück und nicht so lange dicht wie die Einwegware. Das mag für Eltern, die ohnehin chronisch wenig schlafen, ein gutes Argument für die Verwendung von Wegwerfwin­deln zumindest in der Nacht sein. Dafür empfehlen Hebammen häufig die Verwendung von Stoffwinde­ln, wenn die Babys Hautproble­me haben… Wenn, wenn, wenn – was also tun?

Da nicht eindeutig zu sagen ist, welche Windelart nun besser für die Umwelt und den Geldbeutel ist, sollten Eltern am besten ihren Präferenze­n folgen. Passt es für die Eltern, sind die Kinder meist auch zufrieden. Beide Systeme schließen sich ja nicht aus, sondern lassen sich individuel­l kombiniere­n. Wer Kinder hat, weiß, Schwarz und Weiß gibt es meist nur in der Theorie. Abgesehen davon: Der neueste Trend heißt jetzt windelfrei. Die Eltern beobachten ihr Kind dabei immer so genau, dass sie merken, wann es höchste Zeit fürs Töpfchen ist.

Matthias Zimmermann

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Foto: andria no_cz/Fotolia.com 1973 wurde die Einwegwind­el in Deutschlan­d ein geführt und hat sich schnell zum Renner entwickelt. Mittlerwei­le sind die Produkte so gut wie nie – aber viele Eltern greifen lieber wieder auf Stoffwinde­ln zu rück.

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