Jetzt gibt’s auf die Fräse
Reportage Wenn die Wintersportler kommen, war sie schon fleißig: die Pistenraupe. Zum krönenden Abschluss eines Jahres, in dem er praktisch alles fuhr, hat unser Autor eine getestet – und am Ende doch noch Sprit gespart
„Wissen Sie eigentlich, dass wir auch eine Hybrid-Pistenraupe haben“, fragt Andrea Del Frari nicht ohne Stolz. Nein, das wussten wir natürlich nicht. Und eigentlich waren wir im Sommer auch gar nicht wegen Pistenraupen nach Südtirol gekommen. Doch der Zufall hat den Manager des Skigebiets Kronplatz und uns zusammengeführt. Und seine Hybrid-Pistenraupe hat unser Interesse geweckt.
So sehr, dass wir sechs Monate später wieder nach Bruneck gekommen sind, um damit selber eine Runde zu drehen. Auf die saftigen Wiesen hat sich inzwischen eine weiße Puderzucker-Schicht gelegt. Damit die zahlreichen Alpinisten, die hier in den heute beginnenden Winterferien die Hänge bevölkern, bestens präparierte Pisten vorfinden, strömen Nacht für Nacht die Schneekatzen zum Dienst aus. Eine ganze Flotte strahlend rot lackierter Pistenbullys – und ein leuchtend grüner: der 600E+.
Um nicht ganz unvorbereitet zur ersten Fahrt auf Ketten zu kommen, haben wir uns vorab von Michael Kuhn in Laupheim (Kreis Biberach) in die Geheimnisse der weltersten Hybrid-Pistenraupe einweihen lassen. Der Entwicklungsvorstand der Kässbohrer Geländefahrzeug AG, die den Pistenbully herstellt, ist der Vater des elektrifizierten Schneemobils. Es hat eine lange Geburt hinter sich: „Den ersten Prototypen haben wir schon 1997 in den Schnee geschickt“, erzählt Kuhn. Doch serienreif wurde der Bully erst 2012.
Was den E+ besonders macht, versteht man erst, wenn man weiß, wie eine herkömmliche Pistenraupe funktioniert: Ein Motor, im Falle der 600er-Baureihe ein knapp 13 Liter großer Mercedes-Diesel, treibt Hydraulikpumpen an. Mit dem erzeugten Öldruck werden Hydraulikmotoren an den Ketten in Bewegung gesetzt, die schließlich die gut neun Tonnen schwere Schneekatze bewegen. Beim E+ nehmen den Platz der Pumpen zwei Generatoren ein, die zusammen 280 Kilowatt Strom erzeugen. Die An- werden nicht mehr von Hydraulikmotoren angeschoben, sondern von E-Maschinen.
Der eigentliche Vorteil aber, so Kuhn, steckt wie bei jedem HybridFahrzeug in der Rekuperation, also in der Rückgewinnung von Energie. Wenn die Pistenraupe bergab fährt, was in einem Skigebiet häufig vorkommt, arbeiten die E-Motoren an den Ketten als Generatoren und erzeugen Strom. Bei Toyota Prius und Co. wird diese Energie dann in einer Batterie zwischengespeichert. Der Pistenbully aber hat gar keinen Akku. „Den braucht er nicht“, erklärt Kuhn, „schließlich ist ein Verbraucher ja immer an, nämlich die Schneefräse“. Die Kombination aus Häcksler und Rechen, welche die Pistenraupe hinter sich herzieht und damit die Fahrbahn schön glatt macht, wird beim E+ ebenfalls elektrisch und nicht wie sonst hydraulisch betrieben.
Dass die Fräse den zurückgewonnenen Strom nutzt, entlastet den Dieselmotor und trägt maßgeblich zur versprochenen Verbrauchsreduzierung von rund 20 Prozent bei. Im Idealfall spart das etwa fünf Liter pro Betriebsstunde, in der Praxis sind es etwas weniger. Pro Saison läuft so ein Pistenbully durchaus an die 1000 Stunden.
Zurück zum Kronplatz in Südtirol. Dort wartet schon Dolorico auf uns. Der studierte Jurist hat die Kanzlei gegen den Berg getauscht und steuert nun allabendlich den Pistenbully 600 E+ über die Hänge. Er hat die Öko-Schneekatze schon aus der Garage geholt. Wir dürfen gleich auf dem Fahrersitz Platz nehmen. Gemütlich wie auf einem Lkw-Sessel thront man gut anderthalb Meter über der Schneedecke. Die vielen Schalter, Tasten und Hebel, die um den beheizten Fahrersitz angeordnet sind, erinnern zwar an ein Raumschiff, doch „viele davon brauchen wir gar nicht“, beruhigt uns der Experte. „Die meisten steuern Schneepflug und Fräse.“
Das Fahren selbst ist tatsächlich überraschend einfach: Vorwärtstriebsräder gang wählen und Gas geben, schon marschiert der Pistenbully los. Gesteuert wird mit einem kleinen Lenkrad, das das Attribut „direkt“mehr als verdient. Nur eine halbe Umdrehung reicht, schon dreht die Schneekatze Pirouetten auf der Stelle. Und eine Bremse gibt es gar nicht: Wenn man das Gaspedal loslässt, bleibt der Bully stehen.
„Gegenüber den herkömmlichen Pistenraupen fährt sich der E+ viel geschmeidiger“, schwärmt Dolorico, „und er ist um einiges leiser.“Nach ein paar ruppigen Lenkmanövern haben wir den Dreh raus, und steuern den E+ mit sanften Handgriffen über den Berg. Und mit jedem Meter macht es mehr Spaß, mit dem leichtfüßigen Schwergewicht die Pisten zu erobern.
Nur weil er sich so angenehm fährt, schafft aber kein Skigebiet sich einen E+ an. Schließlich kostet der gut 360000 Euro, also 60000 Euro mehr als sein konventioneller Bruder. „Wir sparen pro Saison ungefähr 3000 Liter Sprit“, rechnet uns Dolorico vor. Bis die Mehrkosten wieder drin sind, dauert es ganz schön lange.
Wirtschaftlich ist der E+ also noch nicht, ökologisch sinnvoll aber allemal. Schließlich sind die Schneekatzen inmitten der Alpen unterwegs und gerade hier lohnt sich jede Investition in den Umweltschutz – für die Natur, und das Image. Das erkennen immer mehr Skigebiete: Inzwischen hat Kässbohrer schon rund 40 E+ verkauft – und die zweite Generation ist bereits in Arbeit.