Luigi Malerba – Die nackten Masken (73)
Es gab immer ein paar Passanten, die stehenblieben, wenn ein Kardinal auf der Straße erschien, und an den Toren ihrer Paläste gab es zu jeder Stunde Grüppchen von Bettlern, die meist weggejagt wurden.
Severo sah nicht aus wie ein Bettler. Er würde sich mit ruhigen Schritten nähern, wie ein zufälliger früher Passant. Die Dunkelheit würde sein schurkisches Gesicht verhüllen, und niemand würde ihn bemerken.
Als Severo bei der Baustelle ankam, stand die Kutsche des Kardinals bereits vor dem Haustor. Um diese Zeit waren dort keine Gendarmen, nur der Kutscher wartete schon auf der Straße. Severo stellte sich hinter einen Holzverschlag auf der Baustelle.
Er wartete etwa eine halbe Stunde. Endlich öffnete sich das Tor und zwei alte Prälaten der familia erschienen.
Severo verließ sein Versteck und ging mit entschlossenem Schritt auf das Tor zu, aus dem im selben Augenblick der Kardinal della Torre trat, gefolgt vom Zeremonienmeister und dem Dechant des Hauses.
Als er wenige Schritte von der Kutsche entfernt war, bedeckte Severo sein Gesicht mit dem Tuch, das er in eine Tasche gesteckt hatte, und hielt den Dolch fest in der Hand.
Es war das erste Mal, daß er einen Kardinal tötete, und sein Räuberherz schlug laut wie eine Trommel.
Der Diakon Baldassare – nach all den Versuchen, sich dem Wunsch des Kardinals zu entwinden – hatte beschlossen, mit zusammengebissenen Zähnen wie ein wahrer Meuchelmörder zu handeln, immer wieder vom Truchseß ermuntert, der vom Kutschbock her sagte: „Du wirst sehen, daß es leicht ist.
Einen Menschen zu töten ist die leichteste Sache der Welt.“
Plötzlich streckte der Diakon seinen Kopf heraus.
„Wenn es so leicht ist, dann kannst du ihn ja töten.“
„Das geht nicht.“ „Ich geb’ dir dreißig Dukaten.“Der Truchseß schwieg eine Weile.
„Und woher nimmst du die dreißig Dukaten?“„Die gibt mir der Kardinal.“Erneutes Schweigen beim Truchseß. „Nein, es geht nicht.“„Warum geht es nicht?“„Der Kardinal ist ein schrecklicher Mann, ich kenne ihn gut. Wenn er es erfährt, dann sorgt er dafür, daß ich dasselbe Schicksal erleide wie die arme erdrosselte Frau im Kerker von Tor di Nona.“
„Aber die hatte den Abbreviator mit Arsen vergiftet.“
„Manche sagen, unser Kardinal hat ihn vergiften lassen, um sein Amt sofort zu bekommen, aber der andere Kardinal war schneller als er.“
„Du verzichtest also auf die dreißig Dukaten?“
„Mit dem Kardinal ist nicht zu spaßen. Ich möchte nicht, daß man mich den Hunden vorwirft.“
„Dreißig Dukaten ist eine Menge Geld.“
„Nein, es geht nicht. Verlang es nicht von mir.“
Der Diakon versteckte sich wieder unter dem schwarzen Tuch und ließ den Ereignissen ihren Lauf. In seinen Händen drehte er nochmals die gräßliche Karnevalsmaske, die ihm der Kammerherr gegeben hatte: eine krumme Raubvogelnase, feuerrote Backen, mit Beulen übersät, spitze violette Ohren und zwei runde Löcher, durch die er sein Opfer sehen würde.
Diese Karnevalsmaske entsprach genau dem Zustand seiner Seele: sie simulierte zugleich das Fest der Narren und seine persönliche Tragödie.
Plötzlich hielt der Karren am Anfang der Straße beim Alten Zollamt, und der Truchseß berührte ihn an der Schulter.
„Wir sind da. Die Kutsche steht schon vor dem Tor.“
Der Diakon nahm das Tuch vom Kopf und sah sich im Dunkeln um. Weiter hinten, vor dem Palast des Kardinals Ottoboni, sah er auf der Straße die Kutsche.
„Wir bleiben hier stehn, hier sieht uns sowieso niemand, und wenn uns einer sieht, dann denkt er, daß es ein Fischkarren ist. Wenn der Kardinal herauskommt, fahre ich dich ohne Gepolter zur Kutsche. Der Rest liegt in deiner Hand, und denk daran: einen Menschen zu töten ist die leichteste Sache der Welt.“
Der Diakon faßte nach seinen Beinen, seinen Armen, seinen Füßen. Er fühlte sich merkwürdig wohl in diesen Kleidern eines einfachen Burschen von der Straße. Er drückte eine Mütze auf den Kopf und stülpte die Karnevalsmaske über die Nase, damit ihn niemand erkannte.
Endlich war der Augenblick der Wahrheit gekommen. Er fühlte sich von einer wahnwitzigen Erregung gepackt und fragte sich noch einmal, welches wohl der Unterschied sei zwischen dem Rot des Blutes und dem Rot des Purpurs.
„Jetzt“, sagte der Truchseß, und fuhr mit dem Karren los, geradewegs auf den Kardinal zu, der aus dem Tor seines Palastes am Alten Zollamt trat.
Das Fest der Gänse und der Hunde
Eine Frauengestalt mit einem zerschlissenen roten Mantel über den Schultern und auf dem Kopf einen alten Kardinalshut, an dessen Krempe kleine Glöckchen befestigt waren, durchquerte rittlings auf einem weißen Maultier die Via Sacra in Richtung Lateran, wobei sie lärmend auf zwei Kupferbecken schlug, um die Aufmerksamkeit der Leute zu erregen.
Vier weiße Gänse, mit vier Schnürchen an seinem Schwanz festgebunden, folgten dem Maultier.
Das Gesicht der Frau war von einer schwarzen, grün und gelb gefleckten Maske bedeckt, die den aufmerksameren Zuschauern das schreckliche Bild der Pest vor Augen führte. Diese Maske war eine Ausnahme.
Seit vielen Jahren waren in Rom die Masken bey Strafe des Galgens verboten, dieweyl jeglichen Tages Vermummte wurden hingemordet zu Hauf, eynem lag das Haupt, eynem die Hand abgehaket auf der Erden, eynem hinge die Schulter herab, eynem ward abgetrent das Beyn, eyner ward geworfen in den Tiber, solchermaszen die Stadt bald verderbt seyn möchte.
Niemand wußte, wer sich in diesem Jahr unter der maskierten Figur verbarg, die durch die Stadt ritt, um das Fest der Gänse und der Hunde zu verkünden, außer einigen wenigen, unter ihnen auch der Diakon Baldassare, der dem Kardinal della Torre die kostbare Nachricht überbrachte: diese Frau war Palmira. Ermattet von der glühenden und dunstig trüben Augusthitze, aber trotzdem entschlossen, die Gelegenheit einer städtischen Lustbarkeit nicht zu versäumen, folgten Scharen von Kindern und Vagabunden der Karnevalsfigur mit großem Gelärm, während die Passanten versuchten, das unter der Maske versteckte Gesicht zu erspähen.