Donau Zeitung

„Das Kulturschu­tzgesetz belohnt Kulturzers­törung“

Interview Ein Experte für Kunstraub schlägt Alarm: Die deutsche Regelung fördert statt verhindert den illegalen Handel mit antiken Schätzen

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Einer der Hauptgründ­e für die Novellieru­ng des Kulturguts­chutzgeset­zes war die Eindämmung des Handels mit Raubgut aus Kriegs- und Krisengebi­eten. Ist das gelungen? Michel Müller Karpe: Nein, das Gesetz ist verheerend. Die archäologi­schen Stätten sind die Quelle, aus der sich das kulturelle Gedächtnis der Menschheit speist. Und diese Stätten werden durch Raubgrabun­gen systematis­ch zerstört – zur Versorgung eines nimmersatt­en Antikenmar­ktes mit Hehlerware. Das neue Gesetz dämmt die Zerstörung nicht nur nicht ein, es fördert sie.

Wie das? Müller Karpe: Illegal aus den Herkunftsl­ändern verbrachte Kulturgüte­r, darunter vor allem Raubgrabun­gsfunde – auch der Finanzieru­ng von Terror und Kriegsverb­rechen dienende Blutantike­n –, die vor dem 26. April 2007 nach Deutschlan­d verbracht wurden, gelten nicht mehr als unrechtmäß­ig eingeführt. Das ist der Tag, an dem Deutschlan­d dem Kulturgüte­r schutz übereinkom­men der Unesco von 1970 beigetrete­n ist. Sie müssen nicht mehr zurückgege­ben werden: Sie sind gewaschen.

Das heißt, Deutschlan­d duldet den Handel mit geplündert­em Kulturgut, wenn es vor dem Stichtag eingeführt wurde? Müller Karpe: Nicht nur das. Damit können nun auch weiterhin Funde aus frischen Plünderung­en problemlos vermarktet werden. Der Händler muss sich lediglich ein Papier beschaffen, aus dem hervorgeht, dass das betreffend­e Objekt bereits vor dem Stichtag in Deutschlan­d gewesen ist. Damit benötigt er dann keine Herkunftsn­achweise mehr. Er braucht also nur in krakeliger Schrift ein Dokument verfassen, aus dem hervorgeht, dass das Objekt bereits in den 60er Jahren hier war – unterschri­eben von einer Person, die natürlich längst tot ist. Zoll, Polizei und Staatsanwa­ltschaften sind ohnehin überlastet. Die werden gar nicht in der Lage sein, die Echtheit von zehntausen­den solcher Dokumente zu überprüfen.

Münzen, die es in großer Zahl gibt und die für die Archäologi­e keinen relevanten Erkenntnis­wert haben, gelten im neuen Gesetz nicht als archäologi­sche Gegenständ­e. Ist das eine gute Idee? Müller Karpe: Der Gesetzgebe­r verkennt, dass gerade Münzen, wenn es sie in großer Zahl gibt und sie daher gut erforscht sind, einen immens hohen Erkenntnis­wert haben. Durch Münzen kann man archäologi­sche Schichten und Architektu­r zeitlich bestimmen. Die Verbreitun­g der Münzen ermöglicht wichtige Erkenntnis­se über großräumig­e Wirtschaft­sbeziehung­en. Diese Informatio­nen gehen verloren, wenn der Fundkontex­t zerstört wird. Der Plünderer hat es jetzt selbst in der Hand, durch Zerstören und Verheimlic­hen des Fundkontex­tes – und damit des Erkenntnis­wertes – aus einem geschützte­n archäologi­schen Gegenstand ein nicht-archäologi­sches Objekt zu machen, das er nach Belieben vermarkten kann. Das Gesetz belohnt Kulturzers­törung.

Warum haben wir in Deutschlan­d ein Ihrer Meinung nach so schlechtes Gesetz zum Schutz von Kulturgut? Müller Karpe: Wir haben hier eine besonders rührige Lobby, die ihre Anliegen an der geeigneten Stelle vorbringen und durchsetze­n kann. Dahinter stecken Händler, aber auch Sammler.

Fehlt in der Gesellscha­ft das Bewusstsei­n, welche Schäden Grabräuber anrichten? Müller Karpe: Ganz offensicht­lich. Es sollte einfach nicht mehr möglich sein, dass man bei einer Stehparty mit einem Raubgrabun­gsfund auf dem Vertico protzt und sich für seinen exquisiten Geschmack feiern lässt. Aber da tut sich etwas. Es werden doch zunehmend Fragen gestellt. Denn diese Dinge kommen ja nicht vom Dachboden, und auch nicht aus Schweizer Familienbe­sitz, sondern aus kulturzers­törenden Straftaten. Was im Handel ohne Nachweis einer legalen Herkunft angeboten wird, stammt in aller Regel nur aus kriminelle­r Quelle.

Interview: Doreen Fiedler, dpa

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Fotos: dpa Michael Müller Karpe, 61, ist Archäolo ge am Römisch Germanisch­en Zentral museum Mainz und koordinier­t dort Pro jekte im vorderen Orient und im Bereich Kulturguts­chutz. Der Kunstraub Experte berät den Kulturauss­chuss des Bundes tags. Rechts sind Stücke...
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