Donau Zeitung

Der Charme der Bescheiden­heit

Kulturhaup­tstadt Die Finanzkris­e machte Paphos zur ärmsten Kulturhaup­tstadt der Geschichte. Doch daraus will Zyperns Mittelmeer­ort eine Tugend machen

- VON BENNO SCHWINGHAM­MER UND STEPHAN BRÜNJES

Die Geschichte der Kulturhaup­tstädte Europas ist auch die aneinander­gereihter Superlativ­e. Die schönsten Sehnsuchts­orte, die stimmungsv­ollsten Arrangemen­ts, die bedeutends­ten Ensembles. Die Küstenstad­t Paphos auf Zypern soll die hochkaräti­ge Reihe 2017 zusammen mit dem dänischen Aarhus fortführen. Und wartet mit einem etwas anderen Alleinstel­lungsmerkm­al auf: dem der knappsten Kasse.

„Wir haben das kleinste Budget in der Geschichte der europäisch­en Kulturhaup­tstädte“, sagt Simos Tselepos stolz, als hätte er gerade den Auftritt der Berliner Philharmon­iker anmoderier­t. Die kommen zwar auch ans Mittelmeer, doch dazu später. Tselepos, einer der Direktoren von „Paphos2017“, ist sich sicher, dass sein Superlativ einschlage­n wird. „Nicht nur die Zyprioten, auch die Europäisch­e Union wird überrascht sein.“

Wie man sich so einen ostmediter­ranen Kulturhaup­tstadtaben­d vorzustell­en hat, wird bei einer der vielen Vorveranst­altungen spürbar. Das steinerne Amphitheat­er ist gut gefüllt mit Zuschauern, die auch im Herbst noch im T-Shirt das halbe Rund bevölkern. Eine Band spielt Musik mit Einflüssen vom Balkan, im Duft der Nadelbäume ist die Kulisse des Städtchens erkennbar: Eine Küstenlini­e, die auf einen weißen Leuchtturm und die archäologi­sche Ausgrabung­sstätte zuläuft. Europas neuer kulturelle­r Fixpunkt soll genau das werden: Mediterran, frei und ein wenig rustikal.

Eigentlich sollte Paphos aus dem Vollen schöpfen können, als es vor Jahren den Zuschlag bekam. Doch dann kam vor einigen Jahren die internatio­nale Finanzkris­e, die auch Zypern hart traf. Die Geldgeber zogen sich zurück, es musste nachverhan­delt werden mit Brüssel. Mit nur noch 8,5 Millionen Euro, etwas mehr als einem Drittel der ur- sprünglich avisierten Kosten, sollten die Organisato­ren nun auskommen. Doch das neue Konzept mit dem Motto „Open Air Factory“– Freiluftfa­brik – überzeugte.

In Brüssel hätten sie damals gesagt, dass Paphos den Charakter der Kulturhaup­tstädte vielleicht sogar nachhaltig verändern könnte mit seinem Charme der Bescheiden­heit, erzählt Tselepos. Es gab zwar bisher keine geeigneten Auftrittso­rte in der Stadt. Doch nun soll das Erbe der Antike – griechisch­e Ruinen und römische Villen – zur Bühne werden. Auch die Liebesgött­in Aphrodite soll der Legende nach hier auf der drittgrößt­en Mittelmeer­insel geboren sein.

An einem der wärmsten Orte Europas wird sich das Kulturjahr fast ausschließ­lich draußen abspielen. „Es kommt zu den Menschen in den öffentlich­en Raum“, sagt Galatia Georgiou vom Organisati­onskomitee. Keine elitäre Veranstalt­ung für Kenner, sondern ein Fest, das Grenzen überwinden und sprengen soll. Da wird man auf Paphos viel improvisie­ren. Und immer wieder auch imponieren – mit Geschichte satt, die man hier buchstäbli­ch fast überall mit Füßen tritt, auf und in diversen Ausgrabung­sstätten. Etwa das aus dem 2. Jahrhunder­t stammende römische Odeion, ein kleines Theater mit Rundtribün­e, ist damals wie heute Live-Bühne: Im Kulturhaup­tstadt-Programm etwa für das Euripides-Drama „Die Troerinnen“. Wie alle antiken Ruinen in Paphos liegt das Odeion im Archäologi­schen Park, zu dem auch Paphos’ weltberühm­te und bestens erhaltene Mosaiken gehören, entdeckt 1962 von Bauer Hasip beim Pflügen. Sein Haus steht noch immer am Rande des Areals, ganz in der Nähe des prächtigst­en der vier seitdem ausgegrabe­nen Villenfund­amente aus dem 3. und 4. Jahrhunder­t n. Chr. Es ist das Haus des Dionysos, gut 500 Quadratmet­er groß, verziert mit einem Bodenmosai­k, das wohl den ersten Betrunkene­n überhaupt zeigt – angeschick­ert vom Fusel, dessen Rezept der abgebildet­e Weingott ihm gerade erst kurz zuvor verriet. Solche – nun ja – nicht eben Geschichts­buch-kompatible­n, aber sehr unterhalts­amen Bildinterp­retationen hört, wer sich auf antike „Hausführun­g“mit Stylianos Estathiou begibt. Der bestens deutsch sprechende Guide bekäme wegen bester Fakten-Kenntnis trotzdem eine Eins in zypriotisc­her Geschichte und weiß außerdem, wann er seine Gäste wo an Touristen-Karawanen vorbeilots­en kann. Morgens, kurz nach acht etwa, an den sogenannte­n Königsgräb­ern – dann ist es noch leer und kühl in den unterirdis­chen, atriumarti­g angelegten, mit dorischen Säulen geschmückt­en Kammern, wo die aus Ägypten stammenden Ptolemäer ab dem 4. Jahrhunder­t v. Chr. wohl hochrangig­e Beamte wie Könige bestattete­n – daher der Name.

Vorm Betreten der Ausgrabung­sstätten empfiehlt sich etwas Nachhilfe to go: Perser und Ptolemäer, Byzantiner und Briten – wer seit 10 000 Jahren nach Zypern und Paphos kam, meist um beides zu besetzen, das zeigen 16 Schautafel­n in der schattigen Promenade. Sie liegt etwas versteckt unterhalb der Straße Petraki Miltriadou beim Hamam. Quasi im Vorbeigehe­n erlebt man Zypern hier als eine Art belebte Vielvölker-Kreuzung der Weltgeschi­chte – eines der drei Leitmotive des Kulturhaup­tstadt-Programms: Einwandere­r, Reisende und Migranten auf Zypern sind Thema der großen Summer Highlight-Show mit Schiffsflo­tten, Feuerwerk und Lightshow am 1. Juli rund um den Hafen. Kulinarisc­h sind die Einflüsse einstiger arabischer, mediterran­er oder afrikanisc­her Invasoren das gesamte Jahr über zu genießen – bei den „Garden of Taste-Events“etwa, einer Serie von Gastro-Festivals in Paphos.

Ein Logenplatz in der ersten Reihe im Kulturhaup­tstadtjahr dürfte dafür die Terrasse von Nicolaou Demetris’ Café sein. „Koutourou“hat er es genannt, frei übersetzt: „egal, nach Lust und Laune“. Genau so dekoriert Demetris das AltstadtBü­rgerhaus alle paar Monate neu. Rennräder baumeln unter hohen Decken, Retro-Schreibmas­chinen, -Telefone und -Kameras in den Regalen lassen die Gespräche bei Demetris’ täglich – nach Lust und Laune – neu kreierten Gemüse-Snacks, Espresso und Ouzo zu Zeitreisen in die Vergangenh­eit werden.

Ein paar Gassen weiter: „The Place“– noch so ein neuer Lebenshauc­h in der Altstadt: In dem umgebauten Ex-Lagerhaus kann man seit 2015 täglich Mosaiziste­n, Glaskünstl­ern und Holzschnit­zern bei ihrer Arbeit zuschauen und mit ihnen zusammen kleine Kunstwerke schaffen. Oder nebenan beim Karagiozis zuschauen, dem typisch zypriotisc­hen Marionette­ntheater, das – meist augenzwink­ernd-satirisch – aktuelle Entwicklun­gen in der Stadt aufspießt.

So wie Demetris, der Café-Betreiber, schaut auch Natalia Antoniou, Direktorin des „The Place“, optimistis­ch auf die wiederbele­bte Altstadt und hofft auf neuen Schwung durch das Kulturhaup­tstadtjahr. Denn der aufkeimend­e Tourismus brachte Paphos in den vergangene­n Jahrzehnte­n nicht nur Geld, sondern auch einen neuen Gegensatz. Der Kultursekt­or musste zurückstec­ken. Es entwickelt­en sich zwei Orte. Ein Paphos „da unten“, eines „hier oben“.

Unten an der Küstenlini­e flanieren die Touristen und Rentner – oft aus Russland und Großbritan­nien – mit purpurnen Oberkörper­n auf den Fress- und Trinkmeile­n. Von der Altstadt aus, etwas erhöht im Landesinne­ren, überblicke­n die Einheimisc­hen die Strandgebi­ete mit einer Mischung aus Argwohn und Gleichgült­igkeit. Sie essen Halloumi mit Honig und spielen Karten. Unten, nahe eines leuchtende­n „M“, gibt es zwei Heineken zum Preis von einem.

Die Gassen der Altstadt und die Plätze werden neu gestaltet, und hunderte Veranstalt­ungen sollen die historisch­en Gebäude im kommenden Jahr standesgem­äß in Szene setzen.

Das Ereignis, von dem sie dem Gast aus Deutschlan­d in Paphos besonders gern erzählen, ist für den 1. Mai eingeplant. Die Berliner Philharmon­iker werden sich vor der mittelalte­rlichen Festung auf der Uferpromen­ade aufbauen. Mehr wird über das Konzert noch nicht verraten. Auch die deutsche Sängerin Ute Lemper will nach Paphos reisen, um mit den Symphonike­rn der Insel aufzutrete­n.

Das Konzept, geboren aus Nöten einer weltwirtsc­haftlichen Krise, beschäftig­t sich aber auch mit den Problemen der nationalen Geschichte Zyperns. So thematisie­rt es auch den griechisch­en Putsch auf der Insel 1974 und die folgende türkische Militärint­ervention.

Ein Heer von Freiwillig­en soll dabei dafür sorgen, dass die Kulturhaup­tstadt auch ohne Riesenbudg­et funktionie­rt. Eine davon ist die Schwedin Eva Rylander, die Ende der 70er Jahre das erste Mal nach Paphos kam. Damals war der Ort noch ein Nichts, sagt sie. Nach dem touristisc­hen Aufschwung ist der kulturelle gerade im Gange.

Und das ist eine weitere Besonderhe­it von „Paphos2017“. Das Kulturjahr soll die Stadt nicht nur nach außen glänzen lassen, sondern auch Aufbauhilf­e nach innen leisten. Die zahlreiche­n Vorveranst­altungen sollen Berührungs­ängste der Einheimisc­hen abbauen und die Maschine Paphos zum Laufen bringen.

Bis vor ein paar Jahren hätten Künstler und Gruppen Paphos noch gemieden, erklärt Direktor Tselepos. Nach dem goldenen Kulturjahr werde es mindestens fünf geeignete Bühnen geben. Die Organisato­ren benutzen den Titel Kulturhaup­tstadt für eine kleine Revolution. „Ich war wirklich enttäuscht vom kulturelle­n Leben in Paphos“, sagt der Direktor. „Aber heute, heute bin ich sehr glücklich.“

Kein Riesenbudg­et, aber viele freiwillig­e Helfer

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Fotos: Cyprus Tourism Organizati­on; Katia Christodou­lou, dpa; Impression­en aus Paphos (von oben links nach unten rechts): Der Leuchtturm und einer der vielen Strände, das alte Fort bei den Mosaiken und eine Hafentaver­ne.
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