Luigi Malerba – Die nackten Masken (74)
Noch nie war das Fest der Gänse und der Hunde, das die Römer an die Belagerung des Kapitols durch die eindringenden Gallier erinnern sollte, so traurig und sorgenvoll angekündigt worden. Die Gallier hatten einst den Tarpejischen Felsen in solcher Stille erklommen, daß sie es nicht nur schafften, den Wachen auszuweichen, sondern auch die Hunde nicht zu wecken.
Mit großem Geschnatter erwachten stattdessen die Gänse, welche die belagerten Römer trotz der Lebensmittelknappheit nicht geschlachtet hatten, weil sie der Göttin Juno geweiht waren. Und so kam es, daß die Gallier durch das Verdienst der Gänse – und zu deren Ruhm – zurückgeschlagen und besiegt wurden.
Bei diesem Fest, das schon im antiken Rom gefeiert wurde, pflegte man die Hunde ans Kreuz zu schlagen, während die Gänse mit Purpur und Gold geschmückt und beim festlichen Umzug mitgeführt wurden.
Das Fest der Gänse und der Hunde hatte sich durch die Jahrhunderte erhalten und wurde in Rom noch immer mit großem Klamauk gefeiert, als eine Art Sommerkarneval, bei dem freilich die Hunde nicht mehr gekreuzigt, sondern auf der Straße verprügelt oder einfach nur laut beschimpft wurden. Ein heidnisches Fest, das die Gouverneure des Kapitols in voller Absicht gleichzeitig mit der Ankunft des verabscheuten flämischen Papstes in der Basilika von San Paolo anberaumt hatten.
Die laute Fröhlichkeit der Jungen und Mädchen, die um die vermummte Karnevalsfigur herumtanzten, während sie auf einem weißen Maultier gleich dem des Papstes durch die Straßen der Stadt ritt, bildete einen krassen Gegensatz zu den vulgären Zwischenrufen und dem lärmenden Gegröl des gemeinen Volks, wobei die unbekannte Botin mit Kohlstrünken beworfen und mit vulgären Gesten verhöhnt wurde, die weniger der Frau galten als dem, was sie mit ihrem Kardinalshut darstellte.
Die Leute beugten sich aus den Fenstern, angelockt vom Scheppern der Becken, welche die unbekannte Festverkünderin schlug. Es war üblich, das Fest von einer Hure oder einer gehobenen Kurtisane verkünden zu lassen, die zu solch lärmender Maskerade bereit war.
Man einigte sich von Jahr zu Jahr darauf, unter den Frauen, die ihren Namen auf dem Kapitol eingetragen hatten, das Los entscheiden zu lassen.
Dann schloß man Wetten um die Identität der Gewinnerin ab, und gab vor, die Verkünderin an ihrem Hintern oder ihren Brüsten zu erkennen.
Aber diesmal verhinderte der lange Mantel jede fachkundige Inspektion, und alle fragten sich, auf wen die Wahl in diesem geplagten Sommer wohl gefallen sei.
Die Vorteile dieses Auftrags lagen weniger in den vier Golddukaten, welche der durch das Los bestimmten Prostituierten zugewiesen wurden, als in dem Ansehen, das ihr daraus erwuchs, und der größeren Nachfrage nach neuen und besser bezahlten Diensten.
Aber in diesem Jahr sollte die Botin nicht in den Genuß dieser Vorteile kommen – infolge eines Unglücks, das die Welt überraschte und bei der feiernden Menge sogleich ein großes Gerede bewirkte.
Die Botin ritt also weiter auf dem Rücken ihres weißen Maultiers und durchquerte die Straße der Banken im Regolaviertel, wo sich bei ihrem Durchzug nur wenige Fenster öffneten, weil die Bankangestellten auch an Festtagen arbeiteten und sich durch das Karnevalstreiben nicht von ihren Geldgeschäften ablenken ließen.
Dann ritt sie durch die Straße der Seiler an der Mauer des Circus des Flaminius entlang, wo sie aus den Fenstern ein paar Huldigungen in Form von faulen Eiern, Kohlstrünken, auskeimenden Zwiebeln und staubigen Lumpen empfing.
An einem gewissen Punkt schien das Maultier seine Ruhe zu verlieren und drohte, die maskierte Reiterin aus dem Sattel zu werfen, weil zwei streunende Hunde sie kläffend umkreisten, bis ein alter Brunnenmeister aus seinem Laden herauskam und sie mit Stockschlägen vertrieb.
Als sie das Forum und das Kolosseum hinter sich gelassen hatte, verlangsamte das Maultier seinen Schritt, während die Botin das Beckenschlagen für eine Weile unterbrach.
Genau am Anstieg zum Coelius preschte ein bedeckter Zweiradkarren aus einem Seitengäßchen hervor – so als hätte er dort auf ihr Kommen gewartet – und zwei resolute Männer sprangen herab, packten die Frau an den Armen, zerrten sie von ihrem Maultier und zwängten sie mit Gewalt unter die Plane des Karrens, während sie vergebens zappelte und schrie.
Eine räuberische Entführung vor den entsetzten Augen der Leute, die gekommen waren, um dem Vorüberreiten der maskierten Botin zuzusehen, und die jetzt bestürzt das Weite suchten, während das Maultier mitten auf der Straße stehenblieb.
Die vier an seinen Schwanz gebundenen Gänse veranstalteten ein großes Geschnatter und schafften damit weitere Verwirrung.
Die beiden Finsterlinge, die sich der jungen Frau bemächtigt hatten, verschwanden rasch mit ihrem Karren, den ein dritter Mann lenkte, der sein Gesicht unter einem schäbigen bis über die Augen heruntergezogenen Hut verbarg.
Die kleine Menschenmenge, die sich vor der Lateransbasilika versammelt hatte, um Wetten abzuschließen und auf die Ankunft der maskierten Frau und die öffentliche Enthüllung ihrer Identität zu warten, erfuhr von dem Hinterhalt und konnte sich keinen Vers darauf machen. Tatsächlich wußte sich niemand zu erklären, warum in aller Welt jemand beschlossen hätte, das Symbol dieses antiken Fests zu entführen.
Aber die Entführer achteten überhaupt nicht auf die Hunde und Gänse, denn sie hatten ganz andere Dinge im Kopf.
Als Palmira die häßlichen Fratzen der beiden Männer sah, die sie auf den Karren gezerrt hatten, fürchtete sie zuerst, daß ihr Gewalt angetan würde oder daß ihr Leben in Gefahr sei.
„Was wollt ihr von mir?“fragte sie, ihre klingenden Becken noch immer in den Händen. „Was habt ihr mit mir vor?“
Die beiden Männer nahmen ihr die Maske vom Gesicht und betrachteten sie begehrlich. Aber die Befehle, die sie erhalten hatten, lauteten anders.
„Wir teilen dir mit“, sagte der kleinere der beiden Ganoven, „daß wir bezahlt werden, um dich ins Haus eines Freundes von dir zu bringen, und daß man uns empfohlen hat, es mit Anstand zu tun. Das ist alles.“
„Vielen Dank. Mit eurem Anstand habt ihr mir einen Arm verrenkt.“
„Wir sind von Natur aus ein bißchen grob, nicht aus Bosheit.“
„Sagt mir, wer ihr seid und wer euch geschickt hat.“ »75. Fortsetzung folgt