Wie sich Israel seine Zukunft verbaut
Leitartikel Aus Ärger über die UN-Resolution gegen den Siedlungsbau schlägt Netanjahu wild um sich. Damit schadet er letztlich Israel. Von Trump ist keine Lösung zu erwarten
Wut ist ein schlechter Ratgeber in der Politik. Aber Israels Regierungschef Netanjahu lässt sich davon leiten. Ungehemmt lebt der Chef einer rechts-religiösen Koalitionsregierung seine Empörung über die vergangene Woche vom UN-Sicherheitsrat beschlossene Resolution aus, die einen Stopp des israelischen Siedlungsbaus in den besetzten Gebieten verlangt. Er beschimpft und verprellt sogar gute Freunde Israels wie den scheidenden US-Präsidenten Obama und die britische Premierministerin May.
Die UN-Resolution, gegen die Obama kein Veto einlegte, bekräftigt nur die Rechtslage: Staaten ist es laut dem humanitären Völkerrecht nicht erlaubt, in besetzten Gebieten eigene Zivilbevölkerung anzusiedeln. Daran wird Israel erinnert – ohne dass Sanktionen angedroht werden. Doch für Netanjahu genügt der Anlass, um auszurasten.
Dabei kann jeder, der es gut meint mit Israel, vor einem entfesselten Siedlungsbau nur warnen. Denn der Wohnungsbau für israelische Bürger im 1967 eroberten Westjordanland samt Ost-Jerusalem zerstört die Perspektive auf Frieden. Die beste Option, um den seit einem Jahrhundert schwelenden Nahostkonflikt zu beenden, ist die Zwei-Staaten-Lösung, ein friedliches Nebeneinander von Israel und einem neuen Palästinenserstaat. Seit sich der israelische Ministerpräsident Rabin und PalästinenserChef Arafat 1993 in Washington die Hand reichten, vertraten alle Regierungen Israels diesen Kurs. Netanjahu indes tut es nur noch zum Schein. Je mehr Siedlungen er bauen lässt, desto weniger können die Palästinenser ein zusammenhängendes Staatsgebiet erhalten. Mit den Siedlungen werden die Friedensaussichten zubetoniert.
Wird die Perspektive verbaut, sieht es düster aus. Will sich Israel am Ende, unter erneutem Bruch des Völkerrechts, das Westjordanland ganz oder teilweise einverleiben? Dann könnten die Juden eines Tages zur Minderheit im eigenen Land werden. Oder es entstünde eine Art Apartheidsystem wie einst in Südafrika. Dieses ist bekanntlich unter dem Druck der inneren Konflikte zusammengebrochen.
Netanjahu, dessen Regierung auf die ultraorthodoxen Juden angewiesen ist, steht unter starkem innenpolitischen Druck. Einerseits werden rund um Jerusalem Trabantenstädte gebaut, um Wohnraum für die wachsende Bevölkerung zu schaffen. Diese Flächen könnten bei Friedensverhandlungen eventuell gegen anderes Land eingetauscht werden. Andererseits aber streben die religiösen Parteien die jüdische Wiederbesiedlung der alttestamentarischen Regionen Judäa und Samaria an, also des gesamten Westjordanlandes. Dass seit Jahrhunderten dort Araber leben, ignorieren sie.
Den Staat Israel droht dieser Konflikt zu zerreißen. Die jüdischen Siedler, die selbst keinen Wehrdienst leisten, verlangen Schutz durch Israels Armee – was diese auf Dauer überfordert. Der ehemalige General und Regierungschef Scharon hat diese Gefahr gesehen: Er setzte 2005 den Rückzug aller jüdischen Siedler aus dem Gazastreifen durch. Er wollte das auch für Teile des Westjordanlandes erzwingen – doch ein Schlaganfall setzte ihn außer Gefecht. Netanjahu fehlt die Weitsicht, um derartige Entscheidungen zu treffen.
Lebensfähig ist die einzige Demokratie im Nahen Osten nur dank der finanziellen und militärischen Hilfe der USA. Daran hat es auch der in Israel so gescholtene Obama nie missen lassen. Netanjahu setzt jetzt auf den künftigen USPräsidenten Trump, der von ihm wohl keine politische Gegenleistung verlangen wird. Aber diese beiden Hasardeure drohen den Nahen Osten weiter von einer Friedenslösung wegzutreiben als je zuvor.
Israels Armee wird auf Dauer überfordert