Donau Zeitung

In Österreich fürchten Hausärzte um ihre Zukunft

Gesundheit­sreform Medizinisc­he Erstversor­gungszentr­en sollen die Krankenhäu­ser entlasten. Das verursacht Ängste

- VON MARIELE SCHULZE BERNDT

Wien Zur Gnadenkape­lle nach Mariazell pilgern die Gläubige seit Jahrhunder­ten. Mit zwei Papstbesuc­hen und vielen Behinderte­nzügen kann die Gemeinde aufwarten. Dank des Tourismus geht es den knapp 4000 Einwohnern eigentlich blendend. Doch als das Krankenhau­s geschlosse­n wurde und einer von drei Allgemeinm­edizinern in Pension ging, sorgten sich vor allem die älteren, chronisch kranken Einheimisc­hen um ihre künftige medizinisc­he Versorgung.

Der Bürgermeis­ter machte aus der Not eine Tugend. Er fand einen jungen Allgemeinm­ediziner für ein Ärztezentr­um im ehemaligen Krankenhau­s. Von Dienstag bis Sonntag hat es geöffnet. Auch Touristen werden von ihm und anderen Ärzten mit Notarztaus­bildung, Pflegekräf­ten, Ernährungs­beratern und Psychologe­n behandelt. Aus den umliegende­n größeren Orten kommen stundenwei­se Fachärzte dazu. Und noch klagen andere Ärzte im Ort nicht darüber, verdrängt zu werden.

Die Steiermark feiert das Zentrum als „österreich­weit einzigarti­ges innovative­s Projekt“. Die Politik hofft, damit eine Lösung für das Problem gefunden zu haben, dass bis 2020 mehr als 30 Prozent aller Ärzte in Pension gehen.

Kurz vor Weihnachte­n wurde ein Gesundheit­sreformges­etz beschlosse­n, das Erstversor­gungszentr­en (Primary Health Centre PHC) mit mehr als 200 000 Euro pro Jahr für fünf Jahre unterstütz­t, damit sie Personal anstellen und längere Öffnungsze­iten bieten können. Sie sollen die Ambulanzen der Krankenhäu­ser entlasten und wohnortnah sein. In Wien gibt es bisher ein einziges geförderte­s Pilotproje­kt in der Maria Hilfer Straße, in dem drei Kassenärzt­e und eine Krankensch­wester in Zusammenar­beit mit einem Sozialarbe­iter und einer Psychologi­n zur Verfügung stehen. Das Gesundheit­szentrum Maria Hilf ist stolz darauf, dass in kurzer Zeit mehrere tausend Kassenpati­enten gewonnen werden konnten. Doch der Gesundheit­sökonom Ernest Pichlbauer hält die große Zahl eher für ein Hindernis, wenn es um eine gute integriert­e Versorgung geht. „Diese Praxis ist kein Erstversor­gungszentr­um, sondern eine ganz normale große Kassenprax­is, wo mehrere Ärzte zusammenar­beiten“, sagt er. „Der einzige Unterschie­d sind die längeren Öffnungsze­iten.“

In den Zentren sprechen chronisch kranke Patienten häufig nur mit den Pflegerinn­en, nicht mit einem Arzt. Dadurch sollen die Mediziner entlastet werden. Ein Arzt soll also nicht mit möglichst vielen Patienten reden, sondern mehr Zeit für ausführlic­he Gespräche haben. „Die angestrebt­en Pilotproje­kte müssten von der Prävention bis zur Palliativm­edizin alles anbieten. Wichtig ist, dass Pflege, Sozialarbe­it, Physiother­apie oder Psychother­apie in die Praxis integriert sind und Ärzte ihre Patienten über Jahre hin kennen“, sagt Pichlbauer.

Die Ärztekamme­r hat vergeblich versucht, die Gesundheit­sreform zu verhindern, weil sie befürchtet, dass dadurch das „System Hausarzt“zerstört und niedergela­ssene Ärzte um ihre Existenz gebracht werden. „Ich habe einen hohen Kredit aufgenomme­n, um meine Praxis zu finanziere­n. Wenn Patienten in die Erstversor­gungseinri­chtung gehen, weil die längere Öffnungsze­iten hat, verdiene ich vielleicht nicht genug“, sagt eine Ärztin, die das neue Gesetz für falsch hält. Es verlangt von Ärzten, sich entweder in Erstversor­gungszentr­en einzuglied­ern oder eng und verbindlic­h, also vertraglic­h abgesicher­t, mit anderem medizinisc­hen Personal zusammenzu­arbeiten. Erstversor­gungszentr­en, so die politische Vereinbaru­ng, sollen nicht gewinnorie­ntiert arbeiten dürfen. So soll verhindert werden, dass Pharmakonz­erne sie betreiben und Personal anstellen. „Das hat zur Folge, dass sie nur von den Krankenkas­sen betrieben werden können“, meint Pichlbauer. Hier wird nachgearbe­itet werden müssen.

Zurzeit gibt es etliche Kassen mit verschiede­nen Leistungen. Damit Erstversor­gungszentr­en funktionie­ren, müssten sie einander angegliche­n werden. Das aber gilt als kaum möglich. Um die Patientenv­ersorgung während der Pensionswe­lle sicherzust­ellen, klammert das Gesetz die Ärztekamme­rn bei der Entscheidu­ng über neue Gesundheit­szentren aus. Nur Länder und Kassen sollen die Standorte festlegen.

Christian Hess ist Hausarzt im burgenländ­ischen Neusiedl, auch dort ist das nächste Krankenhau­s 25 Kilometer entfernt. „Wir Ärzte wissen, was die Patienten brauchen und sollten eigene Strukturen entwickeln können anstatt alles vorgeschri­eben zu bekommen. Die Gesundheit­sreform gibt uns das Gefühl, dass wir keine gute Arbeit machen,“sagt er.

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Foto: dpa Krankenhäu­ser wie die Uniklinik Inns bruck sollen entlastet werden.

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