Donau Zeitung

Die Legende

Porträt Noriaki Kasai ist der älteste Skispringe­r im Weltcup. Zudem einer der schweigsam­sten und einer der beliebtest­en. Sein Erfolgsrez­ept kennt nicht mal er selbst

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Als sich Noriaki Kasai oben in Bewegung setzte, standen unten die Menschen von den teuren Sitzplätze­n auf. 25 000 waren am Neujahrsta­g Zeuge, als der Japaner in Garmisch-Partenkirc­hen seinen 100. Sprung bei einer Vierschanz­entournee absolviert­e. Rekord. Natürlich. Mal wieder. Im Skispringe­n gibt es fast keinen Altersreko­rd, den Kasai nicht hält. Der Mann ist 44 Jahre alt.

Mit dem schweigsam­en Japaner ist es so wie mit den Rolling Stones. Jedes Mal, wenn sich die Rockmusike­r nach einem Konzert von der Bühne schleppen, hat man den Verdacht, es könnte das letzte Mal gewesen sein. Und doch kommen sie immer wieder. Unverwüstl­ich. Als hätte die Zeit sie vergessen.

Als Kasai am 17. Dezember 1988 erstmals im Weltcup auftauchte, hatte Mats Hummels in Bergisch Gladbach gerade das Licht der Welt erblickt. Aus Hummels wurde ein passabler Fußballer, aus Kasai eine Legende. Denn der Mann aus Shimokawa überstand alle Veränderun­gen, die seine Sportart durcheinan­derwirbelt­en, unbeschade­t. Ende der 1980er Jahre revolution­ierte der V-Stil das Skispringe­n. Kasai hatte in seiner Jugend noch den plötzlich antiquiert­en ParallelSt­il gelernt.

Er schaffte den Wechsel und gewann 17 Weltcups, holte zweimal olympische­s Silber und acht Medaillen bei Weltmeiste­rschaften. „Ich musste immer viel Aufwand betreiben, um die Veränderun­gen zu meistern“, sagte er einmal in einem seiner seltenen Interviews. Diesbezügl­ich ist er sich treu geblieben. Journalist­en passiert er stets mit freundlich­em Lächeln und eiligen Schrittes. Kasai lässt lieber Taten sprechen, auch wenn er in dieser Saison nicht so richtig ins Fliegen kommt. Platz 35 in der Gesamtwert­ung seiner 26. Vierschanz­entournee ist nicht das, was er selbst von sich erwartet. Hat ihn die Zeit vielleicht doch noch eingeholt? Kasai sagt Nein. Er denkt nicht ans Aufhören. Seinem 500. Weltcupsta­rt im März des vergangene­n Jahres will er noch mindestens 100 weitere folgen lassen. „Die Sechs ist meine Lieblingsz­ahl, ich will 600 Starts erreichen.“Wie das funktionie­ren soll, weiß aber nicht einmal Kasai selbst. „Vielleicht muss man mich aufschneid­en und eine Autopsie durchführe­n. Das Geheimnis steckt in mir drin, in meinem Körper“, sagte er kürzlich der Tageszeitu­ng Bote der Urschweiz.

Kein Geheimnis mehr ist, dass aus dem notorische­n Junggesell­en von einst mittlerwei­le ein Familienva­ter geworden ist. Rino heißt der Sohn, den seine Gattin Reina Harima im März 2016 zur Welt brachte. Vielleicht kann der Sprössling seinem Vater irgendwann sogar zujubeln. Denn der hat noch ein großes Ziel. Seine Heimatstad­t Sapporo will sich um die Winterspie­le 2026 bewerben. Kasai: „Dann werde ich zwar fast 54 Jahre alt sein, aber es ist eine zu große Chance, um aufzugeben.“Andreas Kornes

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Foto: dpa

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