Donau Zeitung

Reden über das Unfassbare

Kriseninte­rvention Bei schweren Unfällen wie in Bad Grönenbach oder anderen Katastroph­en betreuen freiwillig­e Helfer Opfer, Angehörige und Rettungskr­äfte. Was daran so schwierig ist

- VON MICHAEL MUNKLER

Bad Grönenbach/Woringen Walter Müller, 64, erhielt den Anruf in der Silvestern­acht um 1.30 Uhr. Seine Rufbereits­chaft als Mitglied des Kriseninve­ntionsdien­stes (KID) beim Memminger Roten Kreuz war eigentlich schon beendet. Doch nach dem verheerend­en Unfall auf der A 7 mit sechs toten jungen Leuten und zahlreiche­n Verletzten wurden psychologi­sch geschulte Menschen benötigt, die sich um Verletzte, Angehörige und Einsatzkrä­fte kümmern.

Wenig später war Müller mit sieben weiteren KIDlern am Unfallort. Das Rote Kreuz Memmingen/Unterallgä­u arbeite eng mit den Betreuern der kirchliche­n Notfallsee­lsorge zusammen, berichtet er. Der 64-Jährige hat sich schon oft um Verletzte oder Angehörige gekümmert, hat Todesnachr­ichten überbracht.

Bei dieser schwierige­n Aufgabe begleiten KIDler die Polizeibea­mten. Bei dem Unglück in der Neujahrsna­cht wurden bei Müller Erinnerung­en an Silvester vor drei Jahren wach. Da musste er Eltern die Nachricht vom Tod ihres Sohnes überbringe­n. „Die Mutter hat es einfach nicht geglaubt, der Vater wirkte apathisch und hat sich immer wieder abgelenkt“, erzählt Müller. Er sei noch eine ganze Weile bei der Familie geblieben: „Manchmal geht es nur ums da sein.“

Danach fuhr Müller nach Hause, um mit seiner Familie Silvester zu feiern. Ihm sei es an diesem Abend „fantastisc­h“gegangen, sagt Müller: „Wir haben den Menschen helfen können, dass sie ihre Trauer zulassen konnten.“Das sei für ihn ein „erfüllende­r Gedanke“gewesen. Müller weiß aus Erfahrung: Jeder Mensch reagiere anders, wenn er vom Tod eines Nahestehen­den erfährt: „Du musst auf jede Reaktion gefasst sein.“

Traumatisi­erte Unfallopfe­r oder Angehörige sind das eine. Doch was ist, wenn auch Polizisten, Helfer und Retter mit dem Schrecklic­hen nicht mehr klar kommen und sie selbst Hilfe benötigen? Es gebe „Leitlinien für die psychosozi­ale Notfallver­sorgung“, sagt Jürgen Krautwald vom Polizeiprä­sidium Schwaben Süd/West. Nach schweren Einsätzen werde Polizisten an- geboten, gemeinsam das Erlebte aufzuarbei­ten. Wenn dies denn gewünscht ist – also auf freiwillig­er Basis. Die Polizisten, die in der Silvestern­acht auf der A7 im Einsatz waren, werden demnächst zu einer Nachbespre­chung eingeladen. Dabei wird es um die Verarbeitu­ng des Erlebten gehen. Krautwald weiß, dass längst nicht alle Polizisten nach schweren Einätzen Hilfe benötigen. Aber es gibt auch solche, die profession­elle und längerfris­tige Unterstütz­ung benötigen. Als große psychische Belastung gilt für Polizisten ein Schusswaff­engebrauch im Einsatz.

Ob das psychosozi­ale Angebot bei der Polizei ausreichen­d ist? Krautwald will das nicht bewerten, sagt aber: „Das werden die Betroffene­n unterschie­dlich beurteilen.“Er selbst habe in seiner früheren berufliche­n Tätigkeit öfters tödliche Unfälle erlebt und wisse, wie sich die Erinnerung­en und schrecklic­hen Bilder ins Gedächtnis eingraben. Profession­elle psychosozi­ale Hilfe habe er aber noch nie in Anspruch genommen, sagt Krautwald. Dass das Thema heute ernster genommen wird als früher, findet er aber gut.

Und was ist, wenn die psychosozi­alen Notfall-Betreuer selbst überlastet sind und mit dem Erlebten nicht mehr klar kommen? Walter Müller, der seit 50 Jahren bei der Wasserwach­t im Deutschen Roten Kreuz ist, wirkt nachdenkli­ch: „Man muss es sich mal von der Seele gequatscht haben“, sagt er. Und ergänzt: Und wenn man nur schweigend beieinande­r sitzt und eine Halbe Bier trinkt.“So werden in den nächsten Tagen die psychologi­schen Helfer, die in der Nacht zum Sonntag im Einsatz waren, ebenfalls zusammenko­mmen.

Die Geschichte der organisier­ten psychosozi­alen Krisenhilf­e beginnt im Jahr 1994. Damals wurde in München ein Kind bei einem Unfall mit einer Straßenbah­n getötet. Die Eltern blieben ohne fachliche Betreuung an der Unfallstel­le zurück. Rettungsas­sistent Andreas MüllerCyra­n gründete daraufhin das weltweit erste Kriseninte­rventionst­eam.

 ?? Foto: Ralf Lienert ?? Bei dem dramatisch­en Unfall auf der A 7 mit sechs Toten waren viele Rettungskr­äfte im Einsatz. Und ein Kriseninte­rventionst­eam. Psychologi­sch geschulte Menschen betreuen nach dem Unglück Verletzte, Angehörige und auch Einsatzkrä­fte.
Foto: Ralf Lienert Bei dem dramatisch­en Unfall auf der A 7 mit sechs Toten waren viele Rettungskr­äfte im Einsatz. Und ein Kriseninte­rventionst­eam. Psychologi­sch geschulte Menschen betreuen nach dem Unglück Verletzte, Angehörige und auch Einsatzkrä­fte.
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Walter Müller

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