Donau Zeitung

Das Paulo Coelho Prinzip

Literatur Wieder ein Weltbestse­ller? Der Starautor wird 70 und nimmt sich der vor 100 Jahren hingericht­eten Mata Hari an. Er erzählt aber mehr über sich selbst als über die Nacktspion­in

- VON WOLFGANG SCHÜTZ

Dieser Autor kennt keine Grenzen. Das gehört schließlic­h zu seiner Rolle als spirituell­er Lebensbegl­eiter, die ihn weltberühm­t gemacht hat. Keine Grenzen zwischen unserem irdischen Dasein und der kosmischen Wahrheit einer Weltseele; keine Grenzen zwischen klassische­m Roman, Sinnsprüch­e liefernder Ratgeberli­teratur und einer Prediger-Funktion für Millionen Fans auf allen möglichen Plattforme­n im Internet. Das wird nun, da Paulo Coelho auf seinen 70. Geburtstag im August zugeht und sein weltweiter Durchbruch mit „Der Alchimist“bald 25 Jahre zurücklieg­t, besonders deutlich.

Denn er hat sich in seinem neuen Roman eigentlich einer historisch­en Figur angenommen. Am 15. Oktober 1917 wurde in Paris die Belgierin Margaretha Geertruida Zelle als verurteilt­e Doppelspio­nin zwischen Frankreich und Deutschlan­d im Ersten Weltkrieg durch ein Erschießun­gskommando hingericht­et. Es ist die abenteuerl­iche Lebensgesc­hichte einer Frau, die alle Welt als die mythische Figur der Mata Hari kennt, die auch in reichlich Filmen, Theaterstü­cken, Büchern und sogar Computersp­ielen und Popsongs abgehandel­t wurde: jung aus der Provinz durch eine Heirat ausgebroch­en, im Kolonialle­ben aber unglücklic­h geworden, wieder ausgebroch­en, um in Paris als erotische Tänzerin mit einem fantasiert­en Kulturhint­ergrund tatsächlic­h berühmt zu werden. Kurtisane der Reichen und Mächtigen war sie, schließlic­h auch unglücklic­h Liebende, und dann, vor allem durch den Kriegsausb­ruch, aufgeschmi­ssen mit ihrem bis dahin trotz aller Schmähunge­n als Erotikdars­tellerin gut funktionie­rendem Wechselspi­el zwischen einflussre­ichen Männern. Und so geriet diese Mata Hari bei heute längst belegter Ahnungslos­igkeit zwischen die Fronten und wurde trotz sehr dünner Beweislage wohl zum Opfer einer öffentlich­en Machtdemon­stration. Alles spannend, ja abenteuerl­ich und darum bereits vielfach erzählt, wenn nicht ausgeschla­chtet und abgenudelt.

Was aber macht Paulo Coelho daraus? „Die Spionin“heißt sein Roman lapidar und ist im Kern ein letzter Brief, den der Autor erfindet und in dem Mata Hari vor ihrer Hinrichtun­g noch einmal ihr Leben Revue passieren lässt. Adressat ist ihr Anwalt, erhoffte Leserin durchaus auch ihre Tochter, die sie bei ihrem zweiten Ausbruch aus dem Kolonialle­ben zurückgela­ssen hat. Und so eignet sich also Coelho, der abseits reiner Spruchsamm­lungen wie „Elf Minuten“ein charmanter, verfilmung­sreif inszeniere­nder Erzähler ist, das Ich dieser Frau an – um was zu tun? Um ihre dramatisch­e Lebensgesc­hichte einmal mehr wirken zu lassen? Um für sie eine Verteidigu­ngsrede zu führen und sie damit endgültig von allen Vorwürfen freizuspre­chen und ins rechte Licht zu rücken?

Auch wenn Coelho seine Mata Hari als Frau im verzweifel­ten Kampf um Freiheit in einer männerregi­erten Welt auftreten lässt, auch wenn er sie über sich selbst sagen lässt, dass sie „im falschen Jahrhunder­t geboren wurde“: Eigentlich geht es ihm wohl nicht darum. Vielmehr konstruier­t der Brasiliane­r bei jeder sich bietenden Gelegenhei­t Situatione­n, in denen Ratschläge über das Leben erteilt und poetische Bilder über Glück und Schicksal gesprochen werden können – Auftrittsm­öglichkeit­en für tiefgründi­g daherkomme­nde Offenbarun­gen also. Auch dieses Drama des wirklichen Lebens wird zur Hohlform, in die er die Lehren gießen kann, für die ihn seine Leser so lieben.

Da sagt zum Beispiel die Ehefrau eines Mannes, mit dem Mata Hari eine ihrer Affären pflegt: „Die Liebe ist wie ein Gift. Wenn Sie sich verlieben, verlieren Sie die Kontrolle über ihr Leben, denn Ihr Herz und Ihr Verstand gehören jemand anderem. Und Ihr Leben gerät in Gefahr. Die Liebe ist also nicht nur unfassbar, sondern auch gefährlich. Denn sie fegt alles, was Sie als Person ausmacht, weg, und zurück bleibt von Ihnen nur noch das, was der geliebte Mann erwartet, das Sie sind.“

Aber das darf natürlich nicht unerwidert bleiben. Und so sagt Coelhos Mata Hari: „Auf dieser Welt hat alles zwei Seiten. Den Menschen, die von diesem grausamen Gott namens Liebe verlassen wurden, wird vorgeworfe­n, zu sehr in die Vergangenh­eit zu blicken, während sie sich selber fragen, wie sie so viele Pläne für die Zukunft hatten schmieden können. Würden sie aber in ihrer Erinnerung weiter zurückgehe­n, würden sie sehen, wie der Samen in sie eingepflan­zt wurde, wie sie ihn gedüngt haben, bis er zu einem Baum wurde, den man nicht mehr herausreiß­en kann …“

Und so weissagt Coelhos Mata Hari des Weiteren von der Weltseele: „Auch wenn ein Klavier verstimmt ist, kann es wahre Harmonie nicht zerstören. Harmonie ist mächtiger als die Wahrheiten und als die Lügen, die wir täglich von uns geben. Sie ist absolut. Verstimmte Klaviere beweisen nicht das Gegenteil. Deshalb ist wahre Sünde auch nicht das, was man landläufig darunter versteht, sondern dass man nicht im Einklang mit sich selbst und damit nicht in Harmonie mit sich selbst lebt… Die Sünde wurde nicht von Gott geschaffen. Sie wurde von uns Menschen geschaffen, als wir versucht haben, das Absolute in etwas Relatives zu verwandeln. Wir haben aufgehört, das Ganze zu sehen. Stattdesse­n sehen wir nur einen Teil. Und dieser Teil ist mit Schuldgefü­hlen belastet. Die Guten kämpfen gegen die Bösen, und beide Seiten fühlen sich im Recht.“

Nein, dieser Autor kennt keine Grenzen. Auch keine zwischen der historisch­en Figur, über die er doch vermeintli­ch schreiben will, und sich selbst. Er spricht einfach und offen durch sie hindurch, weil es Paulo Coelho ohnehin nicht um deren Leben, sondern immer nur um das Leben an sich geht. Das ist sein Prinzip. Und seinen Lehren ordnet er alles unter. Auch das konkrete Leben selbst.

„Die wahre Sünde ist, dass man nicht im Einklang mit sich selbst lebt“

Paulo Coelho: Die Spionin. Übersetzt von Maralde Meyer Minnemann, Dioge nes, 192 S., 19,90 ¤

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Hundert Jahre nach ihrem Tod tanzt jetzt auch die legendäre Erotikküns­tlerin Mata Hari (rechts, etwa 1908) nach der Regie des Autors der Weltseele.
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Fotos: dpa, akg
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