Nordwandnervenkitzel
Nebelhorn Wandeln über dem Abgrund
Das Nebelhorn ist immer einen Ausflug wert – sofern die Sonne scheint und der Berg seinem Namen keine Ehre macht und sich in Dunst hüllt. Vom 2224 Meter hohen Gipfel bietet sich Richtung Süden ein grandioses Alpenpanorama: 400 Spitzen, so hat einer mal nachgezählt, sieht man von dort aus, flankiert von der Zugspitze im Osten und dem Bodensee im Westen. Nun aber hat das Nebelhorn eine weitere Attraktion im Angebot: den Nordwandsteig.
Auf der Nordseite des Gipfels, ein paar Meter unterhalb des Gipfels, hat die Nebelhornbahn einen Pfad in die steil abfallende Wand hineingebaut. Wer sich vom tollen Ausblick Richtung Süden also losreißen kann und durch einen kleinen, extra geschlagenen Tunnel unterhalb des Gipfels hindurch auf die andere Seite der Spitze geht, erlebt einen Nervenkitzel seltener Art: Plötzlich steht man über dem Abgrund.
Nur der Metallgitterboden und eine ziemlich hohe Brüstung bewahren einen vor dem Absturz in die Felsen. Mehrere Hundert Meter geht es hier mehr oder weniger senkrecht nach unten. Im Vertrauen auf die Ingenieurs- und Handwerkskunst kann man auf diesem schmalen Steig über gähnendem Grund das Nebelhorn umrunden und sich dabei fühlen wie ein Bergheld in der Wand – sofern einem mulmiges Gefühl und schlotternde Knie die Euphorie nicht schmälern. Zu begehen ist er sommers wie winters. Außerdem werden weder Skier noch Bergschuhe benötigt, weil die Gipfelstation der Seilbahn gleich um die Ecke ist.
Wer nicht so gern in die Tiefe schauen möchte, sondern den Blick geradeaus richtet, hat vom Nordwandsteig aus einen traumhaften Ausblick. In diesem Fall Richtung Norden, wo die Berge zum Allgäu hin auslaufen. Etwa hundert Meter lang führt der Weg an der Felswand entlang. Wer ihn glücklich überstanden hat, landet unweigerlich im neuen Panoramarestaurant und kann sich gleich einen Schaps gönnen, um die Nerven zu beruhigen.
Klaus-Peter Mayr