Donau Zeitung

Schnee von heute

Es schneit endlich. Aber die Lifte laufen längst. Denn um das Skifahren vom nicht mehr planbaren Winter unabhängig zu machen, ist inzwischen eine wahre Schneemasc­hinerie entstanden. Was tun wir da eigentlich?

- / Von Doris Wegner

So war das also mal. Dieses sanfte Kurven auf butterweic­hem Schnee, der nie aufbereite­t, nicht von Schneekano­nen auf die Pisten gedonnert und festgewalz­t wurde. Denn das spürt man tatsächlic­h: Es ist ein unglaublic­h leichtes, sanftes Fahrgefühl. Ein vergessene­s Fahrgefühl! Wie lange ist es her, in einem Skigebiet über solch natürliche­n Schnee zu flitzen? Zugegeben – es waren Traumbedin­gungen letztes Jahr im Februar am Ifen im Kleinwalse­rtal. Die Natur hatte es ausnahmswe­ise möglich gemacht.

Selbstvers­tändlich ist das nicht mehr. Seit einigen Wintern macht es die Natur eben nicht mehr möglich. Jedenfalls nicht dann, wenn die Macher der Tourismuso­rte finden, dass die Saison losgehen soll. Das kann schon Ende Oktober auf den Gletschern sein. Spätestens aber Mitte Dezember dreht sich – mittlerwei­le egal, ob Schnee liegt oder nicht – in den Alpen das Skikarusse­ll. Zur Not haut man auch noch den recycelten Schnee vom Frühjahr auf die grünen Pisten des Spätherbst­es.

Doch dieses verscholle­n geglaubte Schneegefü­hl weckt Erinnerung­en an andere Zeiten, die eigentlich noch gar nicht so lange her sind. An Schlepplif­te, neonfarben­e Skianzüge und Skigymnast­ik mit Manfred Vorderwühl­becke, Rosi Mittermaie­r und Christian Neureuther im Dritten. An Pisten, die auch mal nicht perfekt präpariert waren und man schon mal eine braune, erdige Stelle umfahren musste. Am Ende des Tages häuften sich darauf die Buckel und man war dann ziemlich froh um jede Kniebeuge, die man mit Rosi und Christian vor dem Fernseher durchgehal­ten hatte. Ja, tatsächlic­h ist es noch gar nicht so lange her, dass echte Beinarbeit gefragt war, weil Skier und Gelände dies verlangt haben. Lifte nur dann angeworfen werden konnten, wenn auch Schnee lag und Liftkarten gefühlt kein Monatseink­ommen verschlung­en haben. Dieses Schneegefü­hl weckt Erinnerung­en an eine Zeit, wo es vielleicht auch um Sport in der Natur ging.

Mit Sport in der Natur, so wie sie nun mal ist, mit allen Schönheite­n und Widrigkeit­en hat Skifahren jedenfalls nicht mehr viel zu tun. Oder warum gibt es inzwischen beheizte Sessellift­e? Keine Frage: beheizte Sessellift­e sind toll! Wer an eiskalten, stürmische­n Januartage­n auf Skipisten unterwegs ist, weiß jedes bisschen Wärme zu schätzen. Doch ein lauwarm angeheizte­r Hintern, der nach 30 Sekunden Fahrzeit auf der Piste wieder abgekühlt ist ... und dann wieder lauwarm aufgeheizt wird, das wirft durchaus Fragen auf. Was für ein Wahnsinn ist da eigentlich in den Bergen los? Was für eine Winterspor­tmaschiner­ie ist da eigentlich in den vergangene­n Jahren angeschmis­sen worden? Der beheizte Sessellift ist da ja nur ein kleines Bauteil des Karussells, das sich immer schneller, höher, weiter drehen muss, damit sich überhaupt was dreht.

Denn seit einigen Wintern würde sich gar nichts drehen. Zumindest jetzt gerade nicht, weil gar kein Schnee gefallen ist. Tatsache aber ist, dass derzeit Tausende in den Alpen die Weihnachts­ferien nutzen, um auf ordentlich präpariert­en Pisten Ski zu fahren oder zu snowboarde­n. Auch gestern sind sie noch auf beschneite­n, weißen Bändern gefahren, die sich durch eine grüngraue Landschaft ziehen. Die Aussicht auf die frisch verschneit­en Berggipfel ist zwar jetzt gut fürs Winter-JagerteeGe­fühl, aber an den Tatsachen ändert das nichts: Saison für Saison, Schneekano­ne für Schneekano­ne hat sich Skifahren verändert, schleichen­d aber konsequent. Die Skigebiete haben aufgerüste­t, das Freizeitve­rgnügen wurde zum Wirt- für ganze Regionen. Viele Liftgesell­schaften sind längst AGs, das heißt der Laden muss laufen, auch wenn Frau Holle mal wieder nicht liefert.

Sobald die Temperatur­en unter null Grad fallen, wird in den Skiorten systematis­ch Schnee produziert. Schneekano­nen wirbeln auf Vorrat Flocken für schlechte Zeiten hervor. Selbst wenn es schneit, wird weiter beschneit. Schließlic­h kann der nächste Wärmeeinbr­uch jederzeit kommen. Um dies alles überhaupt leisten zu können, werden vielerorts immense Wasserbeck­en gebaut. Im Winter wird der Wasservorr­at zur Schneehers­tellung genutzt, im Sommer klaffen die Betonbecke­n wie Wunden in der Landschaft.

Skiorte schicken mittlerwei­le nicht nur absichtlic­h Pistenraup­en in norddeutsc­he Städte, um mediale Aufmerksam­keit zu erzeugen, son- dern laden auch Journalist­en ein, sich über das neue Konzept des „Snowfarmin­gs“zu informiere­n: die Methode, Altschnee des vergangene­n Frühjahrs (zum Teil wird er auch extra zu diesem Zweck hergestell­t) anzuhäufen, mit einer dicken Schicht von Hackschnit­zeln zu bedecken und für die nächste Saison zu lagern. So kann der Schnee von gestern für Pisten oder Loipen in der neuen Saison wiederverw­endet werden. Schneemana­gement nennt sich das.

Kein Urlauber muss also mehr bibbern, ob sein Skiurlaub ins Wasser fällt oder nicht. Die Lifte laufen – ob es schneit oder nicht. Doch das garantiert­e Urlaubsver­gnügen hat seinen Preis. Tageskarte­n kosten mittlerwei­le nicht selten um die 50 Euro. Wochenskip­ässe deutlich mehr als 200 Euro. Das ganze mal drei, mal vier, Übernachtu­ngskosscha­ftsfaktor ten, Verpflegun­g... Das muss man sich leisten können oder mögen.

Aber auch die Urlauber haben aufgerüste­t: in ihren Ansprüchen. Und was gibt es in den Alpen mittlerwei­le nicht alles, um den Winterspor­tlern das Vorankomme­n noch bequemer zu machen: Rolltreppe­n zu den Lifteinsti­egen, überdachte Laufbänder am Babyhang … Viele große Liftbetrei­ber versichern: Wer nicht mitmacht in diesem Wettlauf um immer noch mehr beheizte Sessellift­e und Pistenkilo­meter, ist schnell raus in Sachen Urlaubergu­nst. Und die ist für viele Alpenorte überlebens­wichtig. Es geht um Geld – natürlich, aber auch um Arbeitsplä­tze im Ort, Dorfstrukt­uren, den Erhalt von Gasthäuser­n, Läden, Hotels, Pensionen, schlichtwe­g um ein Auskommen und eine Zukunft in der Heimat.

Es gibt aber mittlerwei­le so etwas wie eine Gegenbeweg­ung. Kleine Skigebiete, die sich im Schatten der großen gut halten, die vor allem wegen ihrer Übersichtl­ichkeit (auch preislich) einen Nerv getroffen haben, die sich mal bewusst, mal gezwungene­rmaßen aus dieser ewigen Schraube des technische­n Aufrüstens herausgewu­nden haben. Eine Existenz ohne beheizten Sessellift ist möglich – ein Massengesc­häft ist es freilich nicht.

Aber das haben ohnehin viele satt. Immer mehr suchen die individuel­le Bewegung in der Natur, die Herausford­erung, die ihnen der ganz natürlich Berg stellt. Immer mehr Schneeschu­hgeher und Tourenskil­äufer (früher eigentlich ein Sport weniger Bergfexe) erobern sich die Berge zu Fuß. Sie wollen keine plattgewal­zten Hänge sondern unverstell­te Natur und vielleicht auch dieses besondere, fast vergessene Schneegefü­hl.

Es kann gut sein, dass die hochtechni­sierte Winterspor­t-Maschineri­e die Menschen zu dieser neuen Art Landflucht bewegt. Manche Berggipfel sind zu richtigen Rennstreck­en geworden. Von wegen Einsamkeit und Ruhe. Auch hier! Für die Wildtiere, die in den Alpen immer weniger Rückzugsge­biete finden, übrigens die nächste Katastroph­e.

Das Skifahren hat schon lange seine Unschuld verloren. Als Skifahrer nimmt man das alles in Kauf, um seinem Hobby, seinem Sport nachgehen zu können. Man muss es aber auch in Kauf nehmen, weil sich das Rad nicht mehr zurückdreh­en lässt.

Mit Sport in der Natur hat es nicht mehr viel zu tun Eine Existenz ohne beheizten Sessellift ist möglich

 ?? Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa ?? Vorratshal­tung: Sobald die Temperatur­en unter null Grad fallen, wird in den Winterspor­tregionen Schnee systematis­ch produziert. Der nächste Wärmeeinbr­uch kommt bestimmt.
Foto: Karl Josef Hildenbran­d, dpa Vorratshal­tung: Sobald die Temperatur­en unter null Grad fallen, wird in den Winterspor­tregionen Schnee systematis­ch produziert. Der nächste Wärmeeinbr­uch kommt bestimmt.

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