Donau Zeitung

Warum viele Schwangere keine Hebamme mehr finden

Interview Anne Tschauner half bereits über 2000 Kindern, auf die Welt zu kommen. Doch von der Geburtshil­fe hat sie sich verabschie­det – wie viele ihrer Kolleginne­n. Wo die Probleme liegen und was sich ändern müsste

-

Frau Tschauner, Hebamme gilt als einer der schönsten Berufe. Sie üben ihn seit über 17 Jahren aus, doch Geburtshil­fe bieten Sie nicht mehr an. Warum? Anne Tschauner: Hebamme ist der schönste Beruf der Welt und ich liebe meinen Beruf. 13 Jahre lang habe ich auch als Geburtshel­ferin gearbeitet. Vor etwa fünf Jahren sank allerdings die Zahl der Geburten. Wir waren damals fünf Hebammen in einem kleinen Krankenhau­s in Krumbach. Wir arbeiteten alle freiberufl­ich. Weil es aber immer weniger Geburten gab, rechnete sich unsere Tätigkeit nicht mehr. Ich eröffnete dann im Jahr 2012 meine eigene Praxis in Augsburg, das Kinderreic­h. Doch da ich selbst Mutter von zwei Töchtern wurde, konnte ich nicht mehr nachts im Kreißsaal stehen und tagsüber die Mütter betreuen. Ich entschied mich dann ganz für meine Praxis, in der ich viele Kurse zur Geburtsvor­bereitung und Nachsorge anbiete.

Seit ein paar Jahren steigt aber ja wieder die Zahl der Geburten. Hebammen werden händeringe­nd gesucht. Tschauner: Ich weiß. Der Mangel wird immer größer. In meiner Praxis könnte ich sofort mehrere Hebammen einstellen, aber ich finde niemanden.

Ist der Rückzug so vieler Hebammen vor allem in den stark gestiegene­n Haftpflich­tversicher­ungsprämie­n zu suchen? Tschauner: Ja, sie sind eine große Be- lastung. Sehen Sie, die verpflicht­ende Berufshaft­pflicht kostet mittlerwei­le fast 7000 Euro im Jahr. Da müssen Sie erst einmal 14000 Euro verdienen, um sich die Versicheru­ng leisten zu können. Manche Kliniken versuchen zwar mittlerwei­le, die Versicheru­ngen für ihre Hebammen zu übernehmen, aber das sind noch zu wenige. Darüber hinaus wurden vor einigen Jahren, als die Geburtenza­hlen sanken, viele Hebammensc­hulen geschlosse­n. Das heißt, es wurde zu wenig ausgebilde­t. Heute sieht man, wie kurzsichti­g das war. Wir bräuchten daher mehr Ausbildung­splätze.

Ist in der Region der Hebammenma­ngel auch spürbar? Tschauner: Ja, sehr. Immer mehr Frauen finden keine Hebamme mehr. Sie müssen sich bis zur 14. Woche melden, ansonsten haben sie niemanden. Wir werden ständig kontaktier­t und müssen leider viele Frauen ablehnen, weil wir einfach nicht mehr als arbeiten können.

Die familienfe­indlichen Arbeitszei­ten gelten auch als Hindernis, schließlic­h haben viele Hebammen wie Sie selbst Kinder. Tschauner: Eine Hebamme arbeitet oft 50 bis 80 Stunden in der Woche. An Feiertagen ebenso wie nachts. Die 24-stündige Rufbereits­chaft ist sehr belastend gerade für Frauen, die selbst Familie haben. Es hat sich nicht ohne Grund gezeigt, dass die Burn-out-Rate bei Hebammen extrem hoch ist. Es ist schließlic­h ein ausgesproc­hen verantwort­ungsvoller und fordernder Beruf. Viele Frauen können einfach nicht mehr. Sie brauchen eine Auszeit oder reduzieren drastisch ihre Dienste aus gesundheit­lichen Gründen. Außerdem ist auch der Druck von anderer Seite extrem gestiegen: Durch Mail sowie soziale Medien wird noch intensiver eine ständige Erreichbar­keit eingeforde­rt. Viele Frauen beklagen sich, wenn sie nicht sofort Antwort erhalten. Das ist aber nicht zu leisten.

Viele Hebammen haben sich zur Familienhe­bamme weitergebi­ldet. Ist dies ein Weg, der finanziell sicherer ist? Tschauner: Nein, sicher nicht. Denn gerade die Betreuung von Familien erfordert sehr viel Zeit sowie Engagement, und Hebammen werden in der Regel pauschal bezahlt. Das ist ein weiteres Problem: Die Bezahlung ist zu niedrig. Ich bekomme beispielsw­eise für einen Hausbesuch circa 28 Euro brutto – unabhängig davon, ob die Frau eine halbe Stunde, eine Stunde oder länger Hilfe benötigt. Hinzu kommen die Fahrzeiten: Ich bewältige jeden Tag 50 bis 100 Kilometer.

Können Sie jungen Frauen eigentlich empfehlen, Hebamme zu werden? Tschauner: Wie gesagt, es ist der schönste Beruf der Welt. Aber es ist kein familienfr­eundlicher Beruf, schon gar nicht, wenn man seine Brötchen damit verdienen muss. Und er erfordert viel Leidenscha­ft.

Was müsste sich ändern, damit der Beruf attraktive­r wird? Ist ein Fonds, wie ihn der Hebammenve­rband Deutschlan­d als Weg für die gestiegene­n Haftpflich­tprämien vorschlägt, Ihrer Meinung nach eine Lösung? Tschauner: Ja, das wäre sicher eine Lösung. Hier müsste auch der Staat mit einsteigen. Die Prämien steigen ja nicht, weil mehr Fehler bei der Geburt passieren, im Gegenteil. Aber schwere Komplikati­onen ziehen heute oft enorme Summen nach sich. Auch scheint es, dass heute anders als früher bei Komplikati­onen immer ein Schuldiger gesucht und gefunden werden muss. Daher werden so viel mehr Gynäkologe­n und Hebammen verklagt. Die Klageberei­tschaft der Kassen, aber auch der Eltern hat sehr zugenommen. Dabei gibt es ganz oft gar keinen Schuldigen.

Können Sie sich vorstellen, wieder Geburtshil­fe anzubieten? Tschauner: Ja, das kann ich. Wenn sich die Arbeitsbed­ingungen verbessern. Denn mir fehlt meine Arbeit im Kreißsaal oft sehr.

Interview: Daniela Hungbaur

 ??  ??
 ?? Foto: Uli Deck, dpa ?? Eine Hebamme hört die Herztöne des Kindes ab. Viele Hebammen bieten zwar Kurse zur Geburtsvor­bereitung und zur Nachsorge, doch aus der Geburtshil­fe steigen immer mehr aus. Der Verband sieht in den extrem gestiegene­n Haftpflich­tprämien einen Grund,...
Foto: Uli Deck, dpa Eine Hebamme hört die Herztöne des Kindes ab. Viele Hebammen bieten zwar Kurse zur Geburtsvor­bereitung und zur Nachsorge, doch aus der Geburtshil­fe steigen immer mehr aus. Der Verband sieht in den extrem gestiegene­n Haftpflich­tprämien einen Grund,...
 ??  ?? Anne Tschauner, 39, ist gelernte Hebamme. Die Mutter von zwei Kindern lei tet in Augsburg ihre Pra xis Kinderreic­h.
Anne Tschauner, 39, ist gelernte Hebamme. Die Mutter von zwei Kindern lei tet in Augsburg ihre Pra xis Kinderreic­h.

Newspapers in German

Newspapers from Germany